Auf ihre Schultern

Petrarkistisches Schönheitslob

Wie oft haben wir jemanden auf die beste Weise gekleidet gesehen? – so wie beim Sonett, genau genommen beim petrarkistischen Schönheitspreis: Zeichnet es nicht die Linien des Körpers aufs Vorteilhafteste in allen Einzelheiten nach? Das Sonett führt die in ihm behandelte Form zur Formvollendung. Vergesst diese Frau nie! Ihre Schultern sind einziger Art. Dass Schönheit und Zeit zueinander im Widerspruch stehen, zeigt das Sonett aber auch. Es genügt nicht, dass es Schönheit gibt, sie muss auch zerstört werden! Dann schlägt die Form um in die schwelgerische Darstellung der Vanitas, die der Vollkommenheit dem Wesen nach widerspricht. Liebe, als Teil der Zeit, ist darum folgerichtig Verlust.

Christian Hofmann von Hofmannswaldau


Auff ihre schultern.

Ist dieses schnee? nein / nein / schnee kan nicht flammen führen.
Ist dieses helffenbein? bein weiß nicht weis zu seyn.
Ist hier ein glatter schwan? mehr als der schwanen schein /
Ist weiche woll allhier? wie kan sich wolle rühren?
Ist alabaster hie? er wächst nicht bey saphiren /
Ist hier ein liljen-feld? der acker ist zu rein.
Was bist du endlich doch? weil schnee und helffenbein /
Weil alabaster / schwan / und liljen sich verlieren.
Du schaust nun / Lesbie / wie mein geringer mund
Vor deine schultern weiß kein rechtes wort zu finden /
Doch daß ich nicht zu sehr darf häufen meine sünden /
So macht ein kurtzer reim dir mein gemüthe kund:
Muß Atlas und sein hals sich vor dem himmel biegen /
So müssen götter nur auf deinen schultern liegen.




Vergänglichkeit der schönheit.

Es wird der bleiche tod mit seiner kalten hand
Dir endlich mit der zeit umb deine brüste streichen /
Der liebliche corall der lippen wird verbleichen;
Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand /
Der augen süsser blitz / die kräffte deiner hand /
Für welchen solches fällt / die werden zeitlich weichen /
Das haar / das itzund kan des goldes glantz erreichen /
Tilgt endlich tag und jahr als ein gemeines band.
Der wohlgesetzte fuß / die lieblichen gebärden /
Die werden theils zu staub / theils nichts und nichtig werden /
Denn opffert keiner mehr der gottheit deiner pracht.
Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen /
Dein hertze kan allein zu aller zeit bestehen /
Dieweil es die natur aus diamant gemacht.

Arbeitsanregungen:

  • Belegen Sie die Forderungen „Carpe diem!“ und „Memento mori!“ an beiden Gedichten.
  • Vergleichen Sie die Gedichte eingehender, indem Sie sich auf Form und Inhalt beziehen.
  • Informieren Sie sich über den Autoren: Inwiefern wird seine Lebensart in diesen Gedichten gespiegelt?