Der Glauben als Bogen

Lessings aufgeklärtes Religionsverständnis Gotthold Ephraim Lessing hat dem konfessionellen Zeitalter sein einheitliches Menschenbild entgegengesetzt. Es ist überkonfessionell, individualistisch und subjektivistisch gemeint, geleitet von der Überzeugung, jeder Mensch sollte selbst entscheiden können, welche Religion ihm passend erscheint. Die mit diesem Menschenbild verbundene Religionskritik ist nicht vordergründig – im Gegenteil, Konfession und vom konfessionellen Staat gelenkte Glaubenspraxis werden als bloße Äußerlichkeiten („Zierraten“) betrachtet, die vom inneren Raum individueller Glaubensüberzeugung getrennt werden müssen. Das verdeutlicht die folgende Fabel: Der Besitzer des Bogens Ein Mann hatte einen trefflichen Bogen von Ebenholz, mit dem er sehr weit und sehr sicher schoss, und den er […]

Weiterlesen

Unwahrscheinlich hässlich!

Andreas Gryphius’ Spottgedicht „An eine Geschminkte“ Es ist erstaunlich, welchen Eindruck Kleidung à la mode im Barock hinterlassen hat, gab es doch tausend Gründe zur Ängstlichkeit. Wollte jeder Mensch sich nicht eher verstecken als sich zeigen? Verschaffen imposante Perücken, mit Goldpailletten besetzte Hauben den durch Leben und Leid geprüften Menschen also doch Erleichterung? Lässt die Schönheit sie Atem holen? Wie oft haben die Menschen des Barock jemanden auf die beste Art gekleidet gesehen, so exquisit ausgestattet, wie es das petrarkistische Schönheitslob vorgibt? Es ist dieses Medium, das die Linien des Körpers Vers für Vers auf das Vorteilhafteste nachzeichnet, das […]

Weiterlesen

Barocke Dichtkunst ist rhetorisch

Nicht jedes Gedicht ruft Gefühle hervor. Nicht jedes Gedicht bekommt so viel Tiefe, dass der Leser lieber mit ihm allein sein möchte. Man nehme nur das Liebesgedicht, bei dem der Leser eine Übermacht empfindet, gegen die er nichts ausrichten kann. Liebesgedichte können zu Tränen rühren, so ergreifen und treffen sie die Empfindungen. Doch nicht alle Gedichte haben diese Qualität. Expressionistische Endzeitgedichte werden unversehens zu Manifesten, die auf Transparenten gemalt umhergetragen und dem gedankenlosen Bürger entgegen gehalten werden. können. Jakob von Hoddis: Weltende (1911)Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,In allen Lüften hallt es wie Geschrei,Dachdecker stürzen ab und […]

Weiterlesen

Mein oft bestürmtes Schiff –

Nicht alle Reisenden gleichen einander – oder: Wie ist eine „einfache“ Interpretation möglich, die auf den allegorischen Sinn Rücksicht nimmt? Karl Philipp Moritz hat gesagt, dass es für ein Kunstwerk von Bedeutung sei, ob es einfach ist: „[A]ufzählen, [das ist] eine Beleidigung des Kunstwerks […], dessen ganze Hoheit in seiner Einfachheit besteht.“ Gleiches gilt meiner Ansicht nach für dessen Interpretation. Auch die Interpretation hat zu fragen, welcher einfache Gedanke dem Kunstwerk zugrunde liegt. Ein einfacher Gedanke des allegorischen Zeitalters beispielsweise – denn ein Sonett des Barockdichters Andreas Gryphius soll im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen stehen – ist ein historisch […]

Weiterlesen

Die allegorische Darstellung der Welt: Schifffahrt mit Zuschauer

Der barocke Allegoriegebrauch Auch wenn man, wie Walter Benjamin, sagt, in großer Klage habe der Barock seinen beredten Ausdruck gefunden und in der leidenden Kreatur seinen Spiegel, „in dessen Rahmen allein die moralische Welt des Barock sich vor Augen stellt“ (Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels, hrsg. von Rolf Tiedemann. Suhrkamp Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main 1978, S. 72), muss man diese Epoche auch unter dem Aspekt ihres Erziehungsanspruches betrachten. Denn dass das unausweichliche Leid der Welt den deutschen Dichtern aus erzieherischen Gründen zum Thema werden konnte, muss dabei zur Sprache kommen. Erziehung mit Mitteln der Allegorie und Rhetorik […]

Weiterlesen

Willkommen und Abschied

Sesenheimer Pfarrhaus. Goethe erinnert sich später, in dieser Zeit mit Friederike Brion wie am „Mittelpunkt der Erde“ gelebt zu haben. Wilder Reiter – Erlebnislyrik wie „Willkommen und Abschied“ Das Gedicht „Willkommen und Abschied“ von Johann Wolfgang von Goethe, in der ersten Fassung im Jahr 1771 veröffentlicht, zählt zu den Sesenheimer Liedern. Die Sesenheimer Lieder stellen insofern eine Wende innerhalb der deutschen Lyrik dar, als der Stoff der Lyrik in die Seele des Sprechers verlagert worden ist. Der Sprecher sieht den Stoff nun so an, als ob er nur in seinem Innern vorhanden wäre. Goethe versucht in dieser für die […]

Weiterlesen

Empört euch!

Was der Mensch ist, wird mit dem Begriff der Verantwortlichkeit wirkungsvoll zum Ausdruck gebracht. Der Begriff ist relativ neu. Die Römer kannten das Wort nicht. Von der Sache wussten sie, dass jemand vor Gericht für die Folgen seines Tuns Rechenschaft abzulegen hatte. Er hatte „sich zu verantworten“ (causam dicere). Aristoteles kannte die Freiwilligkeit einer Handlung und die Folgen einer Handlung. Ein eigenes Wort für den Begriff der Verantwortlichkeit prägte er genauso wenig wie Platon. Im deutschen Sprachraum ist das Wort „Verantwortung“ erst im 15. Jahrhundert in Gebrauch gekommen und mehrere Jahrhunderte lang auf das Gerichtswesen beschränkt gewesen. In der […]

Weiterlesen