Im Anfang war das Wort

Gottfried Benn: Ein Wort (1941)

Ein Wort, ein Satz -: aus Chiffren steigen
erkanntes Leben, jäher Sinn,
die Sonne steht, die Sphären schweigen
und alles ballt sich zu ihm hin.

Ein Wort – ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,
ein Flammenwurf, ein Sternenstrich –
und wieder Dunkel, ungeheuer,
im leeren Raum um Welt und Ich.

Trotz des geringen Umfangs von nur acht Zeilen scheint das vorliegende Gedicht in Konkurrenz mit den etablierten Schöpfungsgeschichten treten zu wollen. So bildet es eine bilderreiche Assoziationskette ab, durch die ein weiter Bogen vom Universum bis zum Ich des Sprechers gespannt wird. Das Gedicht stammt aus dem Jahr 1941, sein Autor ist Gottfried Benn. Der Titel „Ein Wort“ verweist auf den poetologischen Gehalt des Textes, es handelt sich um ein Gedicht über Dichtung. Dichtung wird dabei, in Anlehnung an den Prolog des Johannesevangeliums, als „zweite“ Schöpfung betrachtet. Einen ähnlichen Gedanken hat bereits Goethe formuliert: „Schöpft des Dichters reine Hand / Wasser wird sich ballen.“

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