Neue Sachlichkeit

Ganz ohne Fantasie scheint die Literatur der Moderne zu sein. Ihre Bilder wirken billig – entwertet durch das Dogma des Fortschritts. Das Erlebnis tritt in den Hintergrund. Es ist die Stunde der Wissenschaften und der Männer und Frauen ohne Eigenschaften.

Doris zum Beispiel, die Protagonistin in Irmgard Keuns Roman „Das kunstseidene Mädchen“, welcher im Jahr 1932 erschienen ist, gibt zwar vor, großartig zu sein, verdinglicht sich jedoch, indem sie ihre besonderen Vorzüge so betrachtet, wie es bei einer im Grunde austauschbaren Ware der Fall wäre.

Ihre Selbstwahrnehmung stimmt mit dem Gesamtbild überein. Die Massenmedien der Weimarer Republik propagieren den neuen Frauentypus: die fortschrittliche, wirtschaftlich unabhängige Frau, der es gelingt, aus dem Machtbezirk des Mannes herauszutreten. Vor allem die Filmindustrie ist daran beteiligt, das Ideal der neuen Frau zu vermarkten. Der Glanz, der der neuen Frau anhaftet, überträgt sich auch auf die Straße. Der Glamour wird zum Fetisch und bestimmt die verdinglichten Beziehungen zwischen Frauen und Männern.

„Nicht nur auf dem Arbeitsmarkt erhält das Subjekt seinen Wert durch die Dinge, mit denen es sich umgibt, auch im Bereich der Erotik sind es Dinge, die für die Attraktivität des Subjekts entscheidend sind. Diese Verknüpfung von Ästhetik, Warenwert und erotischer Anziehung zeigt sich z. B. in Irmgard Keuns Roman ‚Das kunstseidene Mädchen‘.“ (Sabine Kyora: Nebensachen. Zur Bedeutung von Accessoires und Interieurs in neusachlichen Texten, in: Realistisches Schreiben in der Weimarer Republik, hrsg. von Sabine Kyora und Stefan Neuhaus, Würzburg 2006, 79.)

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