Die Schuld des Ahnherrn

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Iphigenie und der Tantalus-Mythos

Die Frage nach der Schuld ihrer Familie führt Iphigenie zum Tantalus-Mythos. So erzählt sie dem Skythenkönig von Tantalus, ihrem Urahn, dem schwerreichen Mann, dem Liebling der Götter. Dieser hat die Olympier dadurch beleidigt, dass er ihnen seinen Sohn Pelops, ohne überhaupt darum gebeten worden zu sein, geopfert und zum Mal gereicht hat. Die Olympier, Zeus vor allem haben Tantalus daraufhin aufgegeben und in die Unterwelt verbannt. Er muss in die unterste Unterwelt, den Tartarus, hinab, um dort für immer Hunger und Durst zu leiden. Die Götter haben den übermütigen Tantalus aufgegeben – nicht so Iphigenie! Sie hat den Urahn nicht aufgegeben. Sie weist die Schuld den Göttern zu. So fällt kein Schatten des Vorwurfs auf ihren Urahn. Es fällt auf, dass sie das Pelops-Opfer expressis verbis gar nicht anführt. Auch von den anderen Verbrechen des Tantalus vernimmt Thoas nicht ein einziges Wort. Diese nicht unbedeutenden Passagen des Tantalus-Mythos sind vom mythenkundigen Goethe mit Bedacht ausgespart worden. Iphigenies Version des Familien-Mythos lautet folgendermaßen:

Goethe: Iphigenie auf Tauris, 1. Aufzug, 3. Auftritt, V. 315–327

IPHIGENIE.
Er [Tantalus, Anm. von mir] ist es; aber Götter sollten nicht /
Mit Menschen, wie mit ihresgleichen, wandeln; /
Das sterbliche Geschlecht ist viel zu schwach, /
In ungewohnter Höhe nicht zu schwindeln. /
Unedel war er nicht und kein Verräter; /
Allein zum Knecht zu groß, und zum Gesellen /
Des großen Donnrers nur ein Mensch. So war /
Auch sein Vergehen menschlich; ihr Gericht /
War streng, und Dichter singen: Übermut /
Und Untreu stürzten ihn von Jovis Tisch /
Zur Schmach des alten Tartarus hinab. /
Ach, und sein ganz Geschlecht trug ihren Hass! /

THOAS.
Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigne?

Aufgaben:

  • Wie lässt sich Iphigenies Darstellung des Tantalus-Mythos erklären?
  • Wie weicht Thoas von Iphigenies Darstellung des Tantalidenfluchs ab?