Der beengte Raum –

Der Blick Josef K.s als Bezugssystem Wer von der Untersuchung der Scham zur Untersuchung des Raums in Kafkas Roman „Der Proceß“ übergeht, betritt von einem allgemeinen Standpunkt aus eigentlich kein neues Gebiet. So bedeutsam der Unterschied zwischen Scham und Raum methodisch gesehen auch sein mag, sie bilden doch Unterarten derselben Gattung: der Widerspiegelung der Wirklichkeit. Gerade bei dem Raum bedarf dies keiner besonderen Begründung, denn der Raum kann nichts anderes bedeuten, als dass das, was in der Wirklichkeit als Raum erblickt wird, auf ein Bezugssystem verweist, in dem es „widergespiegelt“ wird. Es ist daher leicht verständlich, dass der Raum […]

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Scham und Schuld

Kafka: Der Proceß Die Aufgabe des Gerichts besteht darin, über die Schuld des Verhafteten zu wachen. Mit der Verhaftung ist damit mehr erreicht, als es vielleicht den Anschein hat. Die durch die Verhaftung ausgelöste Scham ist die Elementartatsache innerhalb der neuen Erfahrungen Josef K.s. Mit der Verhaftung ist die Scham des Verhafteten sichergestellt. Auf der Seite K.s entsteht nun so etwas wie ein bedingter Reflex, indem er sich auf seine Scham fixiert.

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Der Prügler

Franz Kafka: Der Proceß Was Josef K., der Held des Romans „Der Proceß“ von Franz Kafka, erlebt, wächst aus dem Alltag heraus, ist aber mit dem Alltag eng verbunden. Stets ist Josef K. im Büro zu finden, in dem vorliegenden Kapitel zum Beispiel, dem Prügler-Kapitel, verlässt er abends als einer der Letzten das Bürogebäude. Der Leser erfährt dabei, dass der Büroalltag Erfahrungen hervorbringt, die sich dem Glauben an die Fortschritte des Menschengeschlechts auf grausame Art widersetzen. Entscheidendes hat sich in Josef K.s Leben ereignet. Er ist verhaftet worden, ohne in das Geheimnis der gegen ihn zu Recht oder Unrecht […]

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Ein brückenloser Abgrund

Kurze Typologie der Krise des Lord Chandos Die existentielle Krise des sechsundzwanzigjährigen Lord Chandos zeigt sich in der Unangemessenheit von Vergangenheit und Gegenwart, von Werk und Seele. Ein „brückenloser Abgrund“ (47,25) trenne sein gegenwärtiges Dasein von dem vergangenen, bekennt Lord Chandos. Unangemessenheit – das heißt einerseits: die Seele ist größer als das Werk. Lord Chandos betrachtet daher die Jugendwerke – also das, was er objektiv geleistet hat – mit einer gewissen Herablassung: „[B]in denn ich’s, der nun Sechsundzwanzigjährige, der mit neunzehn jenen ,neuen Paris‘, jenen ,Traum der Daphne‘, jenes ,Epithalamium‘ hinschrieb, diese unter dem Prunk ihrer Worte hintaumelnden Schäferspiele, […]

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Was von der Sprache übrig bleibt

Dieter Wellershoff: Bleibe (1986) Die Sprachstörung geht den umgekehrten Weg wie die Sprache. Diese sucht bei der allmählichen Verfertigung der Gedanken nach der vollkommenen Übereinstimmung zwischen Inhalt und Form, nach der passenden Formulierung. Jene leitet den Adressaten mit Hilfe der die Ausdrucksformen begleitenden Emotionen zu den Inhalten der so genannten „inneren“ Sprache – die Form schlägt in dem Fall in den Inhalt um. Die Kommunikation mit dem unter der Sprachstörung leidenden Kranken hält sich also an das, was unmittelbar erlebt wird. Es kann dabei vorkommen, dass der Kranke ein und dasselbe Wort in gegenteiliger Bedeutung verwendet. Er sagt zum […]

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