Kafkaeske Ironie

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K. und die Frauen: Leni

K. s Verwirrung infolge der Verhaftung zeigt sich zum Beispiel in dem unangemessenen Umgang mit Frauen, in dem Fehlen einer von der Vernunft geleiteten Schamkontrolle. Dieser Umgang hat zwei Typen: Die Frau ist für den hilflosen K. entweder Geliebte (Elsa, Leni, die Frau des Gerichtsdieners) oder Mutter (Frau Grubach). Im ersten Fall sind K.s psycho-soziale Probleme klarer sichtbar als im zweiten. Seine Unterwürfigkeit gegenüber der Geliebten spiegelt den Prozess seiner zunehmenden Depersonalisation wider. Er kann dem Schrecknis der Liebe nichts entgegensetzen.

Der Erzähler verzichtet dabei nicht darauf, K.s Unterwürfigkeit als Schwäche bloßzustellen. Er gibt dem Leser die Gelegenheit, über K. zu spotten. Denn längst hat die Kafka-Forschung erkannt, dass Kafkas Erzähler durchaus witzig zu erzählen verstehen. Dabei handelt es sich keinesfalls um „fröhlichen“ Humor, welcher auf einen glücklichen Ausgang (Happy end) hoffen ließe. Auch von so genannter „böser“ Satire kann nicht die Rede sein. Denn dies hätte zur Folge, dass der Leser sich nicht mehr mit K. solidarisieren könnte. Es liegt in der Absicht von Kafkas Roman „Der Proceß“, Josef K.s inadäquate Beziehung zur Welt an den Pranger zu stellen, ohne dabei gegen die Regeln der „kafkaesken“ Ironie zu verstoßen.

Die Ironie in der Leni-Szene ergibt sich zum Beispiel dadurch, dass Josef K. nicht durch den Advokaten, sondern durch dessen Geliebte über den Prozess belehrt wird. Hinzu kommt die Umkehrung (Inversion) der Räume. Während K.s Advokat im Bett liegt, ist die verführerische Leni in dessen Arbeitszimmer zu finden.
„Noch als er sich gesetzt hatte, sah sich K. im Zimmer um, es war ein hohes, großes Zimmer, die Kundschaft des Armenadvokaten mußte sich hier verloren vorkommen. K. glaubte, die kleinen Schritte zu sehen, mit denen die Besucher zu dem gewaltigen Schreibtisch vorrückten. Dann aber vergaß er dies und hatte nur noch Augen für die Pflegerin, die ganz nahe neben ihm saß und ihn fast an die Seitenlehne drückte“ (Franz Kafka: Der Prozeß. Roman. Suhrkamp: Berlin 6. Auflage 2012, 112,29–113,1).