Fotografierte Realität?

Der Film am Anfang des 20. Jahrhunderts

Von Anfang an ist der Film auch als Kunstform betrachtet worden. Zwar ist er schnell Massenware. Als der kinematographische Apparat nämlich 1898 in Frankreich konstruiert wird und bald darauf nach Amerika gelangt, stehen die gewinnlüsternen Dritten schon bereit. Das Medium verbreitet sich schnell. Die Masse interessiert sich zunächst für den Film als bewegtes Schauspiel, als fotografierte Jahrmarktssensation. Beliebt sind zum Beispiel die Schwindelgefühle, die durch den optischen Eindruck eines nach vorn fahrenden Zuges beim im Kinosessel ruhenden Zuschauer hervorgerufen werden. Natürlich ist so etwas nichts, was der Zuschauer deshalb schon als Kunst anzusehen hätte. Mit allen optischen Täuschungen verhält es sich ähnlich, auch Zerrspiegel rufen mitunter Schwindelgefühle hervor. Demgegenüber zeigt Filmkunst etwas Neues, das die amerikanische Industrie sich Anfang des vorigen Jahrhunderts mehr und mehr einverleibt hat. Die gewaltigen Veränderungen, die der Film hervorgerufen hat, sind bekannt.

  1. Mit dem Wegfall der Farben bzw. ihrer Künstlichkeit und mit der Beleuchtung erreicht die Ästhetik des Sehens grundsätzlich eine neue Stufe.
  2. Die Illusion des Raums ist weitaus stärker als bei der Fotografie.
  3. Die Montage, das Aneinanderkleben von Filmstreifen, gibt dem Filmkünstler die Möglichkeit, „räumlich und zeitlich Disparates unmittelbar nebeneinander zu stellen“ (Rudolf Arnheim: Film als Kunst, 1932).
  4. Der Bildausschnitt und der damit verbundene Abstand zum dargestellten Objekt befähigen den Filmkünstler, das Auge des Zuschauers zu führen.
  5. Die Bildhaftigkeit des Films entlastet den Regisseur, insofern sie als Illusion akzeptiert wird. Der Zuschauer fasst den filmischen Vorgang nämlich als wirklich auf und protestiert nicht gegen die „Lüge der Kunst“, wenn nur das Wesentliche des Vorgangs stimmig dargeboten wird.

Arbeitsanregungen:

  1. Sehen Sie sich auf YouTube den folgenden Film über jüdisches Leben in New York an.
  2. Überlegen Sie, ob es sich bei diesem Film um Filmkunst oder um „fotografierte Realität“ handelt.
  3. Was macht eine Filmreportage aus? Ist dieser Film eine typische Reportage?
  4. Informieren Sie sich über den Stellenwert des Films und der Reportage im Kontext der Neuen Sachlichkeit.