Kinder an die Macht!

Philipp Otto Runge: Die Hülsenbeckschen Kinder

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Romantische Kindheitsphilosophie am Beipiel:

Achim von Arnim: Stolze Einsamkeit (1813)

Im Walde, im Walde, da wird mir so licht,
Wenn es in aller Welt dunkel,
Da liegen die trocknen Blätter so dicht,
Da wälz’ ich mich rauschend darunter,
Da mein’ ich zu schwimmen in rauschender Flut,
Das tut mir in allen Adern so gut,
So gut ist’s mir nimmer geworden.

Im Walde, im Walde, da wechselt das Wild,
Wenn es in aller Welt stille,
Da trag’ ich ein flammendes Herz mir zum Schild,
Ein Schwert ist mein einsamer Wille,
Da steig ich, als stieß ich die Erde in Grund,
Da sing ich mich recht von Herzen gesund,
So wohl ist mir nimmer geworden.

Im Walde, im Walde, da schrei’ ich mich aus,
Weil ich vor aller Welt schweige,
Da bin ich so frei, da bin ich zu Haus.
Was schadt’s, wenn ich töricht mich zeige,
Ich stehe allein, wie ein festes Schloss,
Ich stehe in mir, ich fühle mich groß,
So groß als noch keiner geworden.

Im Walde, im Walde, da kommt mir die Nacht,
Wenn es in aller Welt funkelt,
Da nahet sie mir so ernst und so sacht,
Dass ich in den Schoß ihr gesunken,
Da löschet sie aller Tage Schuld,
Mit ihrem Atem voll Tod und voll Huld,
Da sterb’ ich und werde geboren.

GEDICHTINTERPRETATION

EINLEITUNG

Sie orientieren den Leser über den Text, indem Sie Titel, Autor und Erscheinungsjahr kurz benennen, den Inhalt knapp wiedergeben und die Thematik erschließen. Sie sollten außerdem zur Ihrer eigenen Deutungsthese hinführen, z. B.:

In der Romantik kommt mehr und mehr das Kind und damit auch seine Individualität zur Geltung. Kinder werden zum Gegenstand der Künste. „Kinder müssen wir werden, wenn wir das Beste erreichen wollen!“, heißt es bei Philipp Otto Runge (1777–1810). Von Runge selbst gibt es programmatische Kinderbilder, z. B. das Porträt der Hülsenbeckschen Kinder, in denen Kinder die Verbindung zwischen Natur und Kultur repräsentieren sollen. Kindliche Individualität gilt den Frühromantikern (August Wilhelm Schlegel, Friedrich Schlegel, Novalis, Ludwig Tieck, Caspar David Friedrich), denen sich Runge anschließt, als harmonisch, mythisch, sogar als kosmisch. Nicht die Kinder, sondern die Erwachsenen werden in der Romantik als Mängelwesen betrachtet. „Wo Kinder sind, da ist Goldenes Zeitalter“, schreibt Novalis.

Achim von Arnim hat seine schriftstellerische Arbeit insofern in den Dienst dieser Kindheitsphilosophie gestellt, indem er zahlreiche Unsinnstexte, fantastische Märchen, Volkspoesie, kurz gesagt: naiv anmutende Texte verfasst hat. Auch das folgende, 1813 in von Arnims „Zeitschrift für Einsiedler“ herausgegebene Gedicht hat seinen Grund in dem unerschütterlichen Glauben an das „wohltuende“ Erleben des Kindes, in dem reflektierten Leiden an der „kranken“ Erde der Philister. Das Gedicht trägt den Titel „Stolze Einsamkeit“.

HAUPTTEIL

Sie beschreiben formale und inhaltliche Aspekte:

– formale Aspekte, z. B.:

Formal gesehen liegen vier siebenzeilige Strophen mit wechselnden Versfüßen vor. Die in der Balladendichtung verwendete Strophenform hat in der Lutherstrophe (Jambische Vierheber und Dreiheber im Wechsel: 4343443; Kadenzen: mwmwmmw; Reimschema: ababccd) ihr Vorbild. Was auf den ersten Blick wie die Wiederholung der Lutherstrophe aussieht, ist, bei näherem Hinsehen, jedoch aus dem Geist der romantischen Ironie heraus entwickelt worden.

– inhaltliche Aspekte, z. B.:

In drei Stadien vollzieht sich die Entwicklung: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Das lyrische Ich erinnert sich zunächst, wie es als Kind mit großer Lust in den Blätterhaufen des Waldes gespielt hat. Die Vergangenheit wird zum Vorbild (vgl. V. 1–7). Die Gegenwart wird demgegenüber dialektisch begriffen: Es kommt zum Kampf mit der Erde, die bezwungen werden muss (vgl. V. 8–14). Die Situation im Wald ist für das lyrische Ich paradiesisch: Die Welt schweigt, und das Ich selbst schreit sich aus. Das lyrische Ich erfährt im Wald ein gesteigertes Selbstgefühl, es fühlt sich groß, riesengroß (vgl. V. 15–21). So wird der Ausblick auf die Nacht zur Vorahnung: Dem lyrischen Ich wird bewusst, dass auch die Begegnung mit dem Tod harmonisch verlaufen könnte (vgl. V. 22–28).

Sie deuten inhaltliche, sprachliche und formale Aspekte im funktionalen Zusammenhang, z. B.:

Spricht man von der Kindheitsphilosophie der Romantiker, muss das vorliegende Gedicht unbedingt in den Blick genommen werden. Denn dieses Gedicht stellt im Kleinen dar, wie sich die Romantiker die gesunde Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen vorgestellt haben. Aus diesem Grund heraus ist die vorhandene Reihenfolge der Strophen nicht beliebig – sie abzuändern, widerspräche dem zugrunde liegenden genetischen Aufbauprinzip, der Idee der natürlichen Entwicklung. Man kann sogar so weit gehen, zu sagen, dass in der ersten Strophe Kindheitsmotive enthalten sein müssen – das Bad in der „Flut“ (V. 5) trockener Blätter ist dann ein solches Kindheitsmotiv. Dieses Motiv ist – das sei im Voraus gesagt – nicht nur für die erste Strophe, sondern für das gesamte Gedicht von zentraler Bedeutung, was die Kehrreime (vgl. V. 7, 14, 21, 28) belegen. Aus dem ersten Kehrreim geht z. B. die für die romantische Geisteshaltung typische Sehnsucht nach der Kindheit hervor: „So gut ist’s mir nimmer geworden“ (V. 7).

[Noch zu ergänzen!]

Arbeitsanregungen:

  • Interpretieren Sie das vorliegende Gedicht von Achim von Arnim.
  • Klären Sie zunächst die Sprechsituation, in dem Sie die Stadien der dargestellten Entwicklung (Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft) beschreiben.
  • Stellen Sie die Sprechsituationen zeichnerisch dar.

Lösungsvorschläge:

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