Der Fremde –

Erlösung für Mendel Singer?

Klausurvorbereitung

Textgrundlage:
Joseph Roth: Hiob. Roman eines einfachen Mannes. Schöningh Verlag: Paderborn 2012, S. 148, Z. 15–S. 150, Z. 8; S. 151, Z. 11–28).

Klausurtext (PDF-Dokument)

Aufgabe:
Analysieren Sie den vorliegenden Text unter besonderer Berücksichtigung des Figurenverhaltens.

Einleitung

Sie orientieren den Leser Ihrer Klausur über den Roman „Hiob“, indem Sie Textgattung, Titel, Autor und Erscheinungsjahr des Romans kurz benennen, den Inhalt und die Thematik des Romans beschreiben, z. B.:

Der im Jahr 1930 erschienene Roman „Hiob“ von Joseph Roth ist eine Glaubens- und Familiengeschichte gleichermaßen. Wie Hiob, das biblische Vorbild, ist die Hauptfigur des Romans, Mendel Singer einer, der beharrlich glaubt und Schicksalsschläge geduldig hinnimmt. Doch seine Familie lässt sich nicht auf den gleichen Weg führen. Armut, Krankheit, Unglück und Tod treiben die Familie vielmehr auseinander. Die den Roman bestimmende Frage ist daher, ob dem Leid im Allgemeinen ein Sinn beigemessen werden kann – oder religiös gesprochen: ob es für das Handeln Gottes eine Rechtfertigung gibt.

HAUPTTEIL

Sie betten den vorliegenden Textauszug kurz in die gesamte Handlung ein, z. B.:

Roths Roman setzt damit ein, die Armut in Mendels Familie zu schildern. Und die Armut ist groß, es kann für die Familie eigentlich nicht viel schlimmer kommen. Mendel Singer lebt als Melammed (Thoralehrer) mit seiner sechsköpfigen Familie in Zuchnow, einem fiktiven Ort im russischen Teil Galiziens. Die Familie hofft auf Besserung, als sie nach Amerika auswandert. Sie findet ein Unterkommen in einer kleinen Wohnung in New York. Doch New York ist nicht the wonder city, als die sie angepriesen wird. Im Ersten Weltkrieg verliert Mendel Singer seine ältesten beiden Söhne und Deborah, seine Frau. Mendels Tochter Mirjam gebärdet sich nach Deborahs Tod, nach allen die Familie betreffenden Hiobsnachrichten wie eine Verrückte und wird in eine psychiatrische Klinik überwiesen. Seit Langem plagt sich der alte Mendel im Übrigen mit Gewissensbissen, weil er vor der Auswanderung seinen jüngsten, an Epilepsie leidenden Sohn Menuchim in Zuchnow bei Nachbarn in Pflege zurückgelassen hat. Der ehemals streng nach den Vorschriften lebende Jude hat aber mit seinem Glauben gebrochen.

Sie beschreiben – und gliedern – den Inhalt der vorliegenden Textpassage, z. B.:

Es ist der erste Abend des Osterfestes. Die zur Feier des Pessach versammelte Familie Skowronnek hat einen Fremden zu Besuch. Der ebenfalls eingeladene Mendel folgt der Feier scheinbar unbeteiligt. Mit klopfendem Herzen aber wendet er sich dem Fremden zu, der, wie er gehört hat, aus Zuchnow stammt und ihm daher etwas über Jonas und vor allem über Menuchim, seinen jüngsten Sohn, erzählen könnte.

Der Text gliedert sich in folgende Abschnitte:

1. Der Fremde teilt mit, dass Menuchim Singer lebt und dass es ihm sogar gut geht (Z. 1–21).

[Ergänzen Sie!]

Sie informieren über Leitfragen bzw. wichtige Aspekte Ihrer Analyse, z. B.:

Zu Beginn der – im vorliegenden Textauszug einsetzenden – Handlung kann Mendel Singer zu den gewöhnlichen, in Amerika assimilierten Juden gerechnet werden. Nach all dem Leid hat sein vormals starker Glaube gelitten, die Grenze des Verstehens hat sich ihm aufgedrängt. Wird er Erlösung in der Begegnung mit dem Fremden finden?

Sie untersuchen die vorliegende Handlung unter den zuvor genannten Gesichtspunkten, z. B.:

Menuchim Singer alias Alexej Kossak ist die zentrale Figur der vorliegenden Szene. Er ist der „Fremde“ (Z. 3), von dem eine seltene Kraft ausgeht, die alle anderen an der Szene Beteiligten in Bann schlägt. Der auktoriale Erzähler hat alle erdenklichen Vorkehrungen getroffen, um die Begegnung zwischen ihm und Mendel Singer anschaulich und spannend zu gestalten. Behutsam tastet er sich vor, um den Leser auf den Höhepunkt der Szene vorzubereiten. Bei aufmerksamer Lektüre wäre zum Beispiel zu beobachten, auf welche Art und Weise der Erzähler bestimmte Mittel der Zeit- und Raumgestaltung (Zeitdehnung, Bildausschnitt) handhabt. Diese Analyse soll darauf ein paar Antworten geben.

Die Antwort, die Kossak auf Skowronneks Nachfrage nach dem Schicksal des in Russland zurückgelassenen Menuchims zu geben hat (vgl. Z. 1–2), bleibt zunächst aus. Warum Kossak die Antwort derart lange abwägt, ist schwer ergründlich. Dem Leser steht nur die Detailaufnahme eines Teeglases vor Augen: „[Kossak] stocherte mit dem Löffel auf dem Grunde des Glases herum“ (Z. 3–4). Das Detail ist so bedeutsam, dass der Erzählfluss für den Moment (Zeitdehnung) unterbrochen wird: Das durch den Löffel zum Klingen gebrachte Teeglas ist nämlich wie eine nur auf den alten Mendel gemünzte Probe: Wird der gespannt lauschende Mann sich daran erinnern, dass er in Zuchnow seinem jüngsten Sohn das Sprechen mit Hilfe eines Teeglases beizubringen versucht hat? Doch ebenso muss das „Glas“ (Leitmotiv, vgl. Roth: Hiob, S. 34–36, S. 88) als Wink an den Leser verstanden werden: Wird das in Zuchnow ausgebliebene Wunder sich diesmal, in Skowronneks Haus bei der Feier der Befreiung aus Ägypten (Pessach) ereignen?

Jeder der Beteiligten wird nun tatsächlich Zeuge eines Wunders. Von welchen Ausmaßen, ist schwer zu sagen. Am Ende wird nicht nur Mendel Singer aus seiner Erstarrung gelöst werden, auch der Raum wird lebendig werden (Z. 34: „an den Wänden flattern die Schatten stehender Menschen“), als habe Gott selbst durch den Fremden zu der kleinen Versammlung gesprochen.

Zunächst aber ist Kossaks Antwort zu hören. Der Leser soll dabei an einen „Ruf“ denken (Anapher, Litotes, Vergleich und Steigerung in Z. 8: „ Es klingt nicht wie eine Antwort, es klingt wie ein Ruf“). Was der Wunderrabbi Deborah einst zugeflüstert hat (vgl. Roth: Hiob, S. 14–15), ist nun laut geworden: Die Prophezeiung hat sich erfüllt. Menuchim lebt, er ist sogar gesund – und um die Erlösung in Skowronneks Haus zu verlegen, Kossak selbst ist Menuchim. Für Mendel wiederum bedeutet die Erlösung den letzten Ausweg aus seiner Lethargie.

[Ergänzen Sie!]

Sie untermauern Ihre Ergebnisse durch zusammenfassende Beobachtungen zur sprachlichen Gestaltung, z. B.:

Der Text erschöpft sich nicht in der nüchternen Darstellung des Wiedersehens von Vater und Sohn. Da das Wiedersehen als „Wunder“ (Roth: Hiob, S. 148, Z. 14) beschrieben wird, enthält der Text viele intertextuelle Verbindungen zu vergleichbaren Wundergeschichten der Bibel. Der Leser muss sich nur die Art vor Augen führen, in der Menuchim den vor ihm hingesunkenen Mendel anspricht: „Steh auf, Vater!“ (Z. 43). Das ist biblischer Sprachgebrauch.

[Ergänzen Sie!]

Schluss

Sie fassen Ihre Ergebnisse zusammen und beurteilen, welche Funktion dem vorliegenden Textauszug innerhalb der Romanhandlung zukommt.

Gott, heißt es, habe Hiob auf das Doppelte belohnt. So ergeht es Mendel Singer, als ihm sein Sohn Menuchim wieder begegnet.

[Ergänzen Sie!]