Sprache

Halte mich in deinem Dienst lebenslang in dir will ich atmen Ich dürste nach dir trinke dich Wort für Wort mein Quell Dein zorniges Funkeln Winterwort Fliederfein blühst du in mir Frühlingswort Ich folge dir bis in den Schlaf buchstabiere deine Träume Wir verstehen uns aufs Wort Wir lieben einander Rose Ausländer Der Mensch ist ohne die Sprache lebensunfähig. Sie befreit ihn von dem Zwang, rein instinktiv zu handeln. Bei ihr ist allerdings nichts im Gleichgewicht. Sie ist kein Wassertropfen, bei dem sich alles gleichmäßig verteilt. Sie ist kein kunstreiches Spinnennetz. Manche Dichter sahen sich deshalb zum Schweigen verurteilt. […]

Weiterlesen

Die Wahrheit ist dem Dichter zumutbar

Probleme zeitgenössischer Dichtung Von Ingeborg Bachmann stammt der Satz, dass eine neue Sprache eine neue Gangart brauche. In ihrer Frankfurter Poetik-Vorlesung vom 25. November 1959 geht es ihr hierbei vor allem um die Dichter und ihre Werke. Gerade die Dichter empfänden nämlich schmerzlich die Grenzen, die der Ausdrucksfähigkeit auferlegt sind. Zuweilen zögen die Dichter sich sogar in das Schweigen zurück. In ihrem Vortrag bezieht die Autorin sich ausdrücklich auf Hugo von Hofmannsthals berühmten „Brief“, der 1902 erschienen ist und Epoche gemacht hat. Wer sich mit diesem Brief beschäftigt, der weiß, dass dessen fiktiver Absender letztlich daran gescheitert ist, eine […]

Weiterlesen

Kafka verständlich machen

„Der Proceß“ in psychologisierender Auslegung Das Altern der Texte hat zur Folge, dass Missverständnisse, Unklarheiten möglich sind. Unverständliches verständlich zu machen, darin liegt die Aufgabe der Interpretation – besonders schwierig erscheint die Aufgabe im Falle Kafkas. Neben die unzähligen Interpretationen des Romans „Der Proceß“ ist auch die psychologisierende Auslegung getreten. Sie legt dem Text insofern eine neue Bedeutung unter, indem sie psychologisches Wissen heranzieht, welches bei der Entstehung des Textes buchstäblich nicht vorhanden gewesen ist. Kafkas Text ist oberflächlich gesehen von Sigmund Freuds Gedanken bestimmt, wie Kafka selbst es stets betont hat; Einzelheiten aber und maßgebliche Begriffe, welche Freud […]

Weiterlesen

Das sind keine Katzen!

Nachts wachte er wegen der schreienden Katzen auf, die ihm gar nicht gehörten. Man bräuchte soundso viele Hände, um sie alle ins Haus zu sperren. Man müsste sich gegenseitig helfen. Man müsste nachts gemeinsam im Nebel stehen, einander die Hände mit den Katzen reichend. Es war ein Wahnsinn! Man tat es nicht. Diese Katzen sind gar keine Katzen, sagte er sich, und er könne weiterschlafen.

Weiterlesen

Die Maske der Schuld

Oder: Kompensation als Ausweg   Franz Kafka: Die Verwandlung Vielleicht ist die Verwandlung Gregor Samsas, seine Annäherung an ein Ungeziefer, dessen Unterleib ständig schmerzt, der Annäherung des Kindes an die masochistisch geprägte Sexualität proportional. Wir lernen die schuldbehaftete Sexualität besser verstehen, wenn wir Gregor Samsa besser verstehen lernen. Gregor Samsa kompensiert nicht, er nimmt alle Schuld auf sich. Die schuldbehaftete Sexualität Gregors ist eine Art von Minderwertigkeitsgefühl.  Gregor Samsa hat viel, für das er sich schämen könnte. Seine berufliche Stellung ist durchaus nicht gesichert. Mit welchem Recht bleibt er also länger im Bett liegen? Vielleicht ist Gregor ein Nachfahr […]

Weiterlesen

Samstag

Samstag. Ein rasselnder Umzugswagen  Der Hausrat steht im Vorgarten: korsische Messer, Uhren, Teppiche, Schränke usw. Ich liege in der Erde, in einem Kaninchenloch, das ich mir zu einer Kuhle erweitert habe. Die Umzugswagen erscheinen. Alle stehen rufend auf der Straße. Einer reicht mir die erste Zigarette: „Ich heiße Wilhelm!“ Wilhelm trägt mir auf, was zu machen ist. Wilhelm hat es geschafft, sein Leben über Gebühr zu verlängern. Wilhelm trägt sieben Ringe im Ohr und spricht in kurzen, harten Sätzen zu uns. Aus den Ohrmuscheln wächst graues Moos. Jetzt liest er zum Schein eine Zeitung, ist aber recht munter dabei, […]

Weiterlesen

Morgen

Franz Kafka: Die Verwandlung Es war nur ein Traum, mag man erleichtert ausrufen. Ein Affe sein, bis über die Knie herunter reichende Arme haben, am Fluss spazieren gehen wie ein Geck, in einer neuen schwarzkarierten Hose. Wie schön, wenn alle Aufregung vorüber ist! Aber ein Ungeziefer sein im Augenblick des Erwachens, das erleiden zu müssen, das wird dir ständig den Atem nehmen!  

Weiterlesen