Kafka geht in Platons Höhle

Franz Kafka: Von den Gleichnissen Bei Kafka gibt es ein Gleichnis über Gleichnisse, das zum Verständnis weiterer Texte Kafkas dienen kann. Es hat viel mit dem platonischen Höhlengleichnis gemeinsam. Bei beiden Gleichnissen liegt eine Zweiweltenlehre vor. Die eine Seite des Gleichnisses ist auf die wirkliche Welt bezogen, die andere auf die Welt des Scheins. In dieser hat der Schein das Wort, das „[S]agenhafte“, das „auch von [dem Weisen] nicht näher zu bezeichnen ist“, so Kafka. In jener anderen hat die Wirklichkeit das Wort, das „[F]assbare“, so Kafka. In dieser eigentlichen Welt – außerhalb der Höhle – hat alles seinen […]

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Der Kaiser ist tot!

Franz Kafka: Eine kaiserliche Botschaft   Der Raum selbst – als Bedingung der Möglichkeit der sinnlichen Erscheinung – mag wirkungslos sein. Er ist dennoch zu durchmessen. In Kafkas Erzählung „Eine kaiserliche Botschaft“ – als selbstständiges Prosastück aus der Erzählung „Beim Bau der chinesischen Mauer“ herausgelöst und im Buch „Ein Landarzt“ veröffentlicht – gibt es bestimmte Räume, die den Kaiser vom Empfänger der Botschaft trennen. Es gibt die hinderliche Menge, es gibt Treppen, es gibt unzählige Höfe. Es ist das „überlieferte“ Wort, das der Bote zu überbringen hat. Der Kaiser stirbt, als der Bote sich auf den Weg macht. Welcher […]

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Umkehr der Richtung

Das Verwandlungsmotiv in Kafkas Novelle „Die Verwandlung“ Wenn es heißt, der Mensch sei an der Verwandlung erst Mensch geworden, so ist im Falle Gregor Samsas das Gegenteil richtig. Es gehört zur Gabe des Menschen, sich verwandeln zu können, es gehört zu seiner spielerischen Veranlagung. Wie aufregend, sich alle möglichen Charaktere einverleiben zu können! Wie spannend, mehr sein zu können, als man ist! Die Verwandlung Gregor Samsas hat demgegenüber eine besondere Qualität. Diese besteht in der Umkehrung des Motivs. Darauf beruht die Ironie der Darstellung. Alle Gedanken der Hauptfigur sind erfüllt von dem Wunsch, nicht mehr, sondern, im Gegenteil, weniger […]

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Fixierte Ektase

Expressionistische Gesichter Gesichter seien Fenster zur Seele, heißt es. Manchmal sind sie von einer eigentümlichen Starre des Ausdrucks, die – wie Carl Einstein in den Aufsätzen über die „Negerplastik“ (1915) herausstellt – auf den Gesichtern der primitiven Kultmasken sich zeigt. Manchmal sind deren Augen bedeckt oder halb geschlossen, so dass nichts zu ihnen zu dringen scheint. Es ist, als besäßen diese Gesichter keine Identität, um die die Europäer doch so bemüht seien, schreibt Carl Einstein. Die Maske ist objektiven Gewalten überschrieben, ihr Träger „inkarniert [das Objektive] in sich und er selbst ist dies Objektive, worin alles einzelne zernichtet“ (Carl […]

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Expressionistisches Manifest

Der Expressionismus als etwas Natürliches Die funktionalistische Auffassung von der Wirklichkeit sei eine falsche Vorspiegelung. Der Expressionismus sei dagegen „etwas absolut Natürliches“, betont Benn. Ein natürliches Gedicht ist selbstverständlich offen und wächst nach allen Seiten. Ein poetologisches Gedicht wie das folgende von Henriette Hardenberg verleiht dem Ausdruck.  Wir werden (1913) Wir werden herrlich aus Wunsch nach Freiheit. Der Körper dehnt sich, Dieses Zerrende nach geahnten Formen Gibt ihm Überspannung. Schwere Hüften schauern sich zu langem Wuchse. Im Straffen beben wir vor innerem Gefühl — Wir sind so schön im Sehnen, daß wir sterben könnten Bei diesem Text hat der […]

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