Unterwegssein

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Wege und Scheidewege

Es ist eine große Vermessenheit, das Unterwegssein beschreiben zu wollen. Wege haben viele Gesichter. Wege sind immer länger als die Umstände, die der, der sie beschreitet, sich ihretwegen macht. Wir könnten Wege nennen, die sich absolut ins perspektivisch Verzerrte verlieren, freie Wege sozusagen, über die ins Gespräch zu kommen schwierig wird. „Alle Gewässer durchkreuzt’ Odysseus, / die Heimat zu finden“ – heißt es meisterhaft bei Friedrich Schiller –, und er, der Verschlagene, erkennt am Ende das Vertraute, die Heimat nicht wieder. Darum gibt es Scheidewege, die die Geheimnisse der Wege, die sie anzeigen, zwar nicht preisgeben, aber der Richtung und dem Namen nach ankündigen. Der lateinische Sprachgebrauch verwendet den Ausdruck „trivia“.

Immer dieselbe Bewegung kehrt auf den Reisen des Odysseus zurück, die aus Mangel einer besseren Bezeichnung nach ihm benannt worden sind – „Utopia“ wäre auch treffend gewesen, stößt Odysseus doch vor bis an die Grenzen der zivilisierten Welt: Still und erwartungsvoll sitzen die Matrosen an Bord, voller Unruhe, und in dem Moment, als das Schiff auslaufen soll, geht eine Göttin durch sie hindurch. Es ist Kirke, wie Hekate in der Zauberei begabt, die Odysseus die Theorie des Scheideweges erschließt: Der Weg hängt vom Ziel ab, der Scheideweg dagegen bedeutet das Umschlagen des Weges: Die Vorstellung, direkt zum Ziel durchdringen zu können, muss fallen gelassen werden. Der Scheideweg zeigt jedoch nicht alle Richtungen an, denen die allgemeine Ordnung der Welt ihre Existenz verdankt. Er bedeutet allenfalls die Zusicherung, dass es diese Ordnung überhaupt gibt. Er bedeutet allenfalls einen Rest an Loyalität gegenüber den Göttern.