Nathan – Stuntman für die Vernunft

Nathan und Hiob

Wie es sich im allerersten Auftritt bereits zeigt, hat Nathan einen Vorläufer in Hiob. Lessings Idee zu dieser Figur lässt sich aber nicht nur auf Hiob zurückführen – dessen Unglück, dessen Klage über die Ungerechtigkeit Gottes fast bis zu der Erschaffung der Welt zurückreicht –, sondern auch auf Shylock, den jüdischen Kaufmann von Venedig, die von Shakespeare erfundene Figur. Jede Analyse dieses Zusammenhangs führt aber auch zu dem Ergebnis, dass Nathan beispielsweise anders leidet als Hiob. Hiob ist der Stuntman für das Religiöse. Ihm muss Gott Rede und Antwort stehen, als jener rechtschaffene und untadelige Mann (vgl. Hi 1,1) sich – zu Recht? – über das ihm zugefügte Leid beklagt. Viele, viele Kapitel sind der Darstellung und der Auseinandersetzung über die namenlosen Leiden gewidmet, die den Glauben Hiobs auf teuflische Weise infrage stellen. Nathan dagegen ist der Stuntman für die Vernunft. Er kompensiert das ihm zugefügte Leid mithilfe der Vernunft, und Recha, die Adoptivtochter, ist ihm Ersatz für den schmerzlichen Verlust von sieben Söhnen:

„Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder 
[…] So viel weiß ich nur; ich nahm
Das Kind, trug's auf mein Lager, küsst' es, warf
Mich auf die Knie und schluchzte: Gott! auf Sieben
Doch nun schon Eines wieder!“ (V. 3052; 3063–3066).

Arbeitsanregung:

  • Informieren Sie sich über den jüdischen Autoren Jizchak Katzenelson!
  • Vergleichen Sie: Wie verarbeitet Katzenelson das ihm zugefügte Leid, wie Nathan?