The fault is not in our stars

Die Schuld des Tempelherrn im Drama „Nathan der Weise“

Was bedeutet die Frage nach der Schuld im Zusammenhang des vorliegenden Dramas? Die Frage nach der Schuld des Tempelherrn beispielsweise wirft außer der Beteiligung am Kreuzzug noch weitere Fragen auf. Insbesondere ist die Frage nach der Art der Schuld zu erörtern und zu klären, wie viel ihm selbst davon anzulasten ist. Der Titel dieser Überlegungen bezieht sich übrigens auf ein Shakespeare-Zitat. Im Drama „Julius Caesar“ heißt es: „The fault, dear Brutus, is not in our stars, / But in ourselves, that we are underlings. – Nicht durch die Schuld der Sterne, lieber Brutus, / Durch eigne Schuld nur sind wir Schwächlinge.“ (I. II. 138–139; Übersetzung durch August Wilhelm von Schlegel). Hätte Lessing diesen Satz im Hinblick auf den Tempelherrn unterschrieben? Shakespeare lässt diesen Satz Cassius sagen. Er soll Brutus Mut machen, sich gegen Caesar, den Tyrannen, aufzulehnen. Cassius spricht von einem „Fehler“ und scheint damit anzudeuten, dass Brutus etwas wiedergutzumachen habe. Auch im Fall von Lessings Drama „Nathan der Weise“ wird ein Fehler des jungen Helden vorausgesetzt. Und Nathan ist es, der daran mitwirkt, dass dem jungen Mann dieser Fehler bewusst wird. Er stattet dem Mantel des Tempelritters Dank ab, den dieser selbst dem Juden Nathan verwehrt:

„Es ist doch sonderbar, / 
Dass so ein böser Fleck, dass so ein Brandmal /
Dem Mann ein bessres Zeugnis redet, als /
Sein eigener Mund. Ich möcht ihn küssen gleich – /
Den Flecken!“ (II. V. 1246–50)

Es ist unbestreitbar, dass der Tempelritter die Dankeserwiderung weder Nathan noch Recha erwiesen hat. Dieser Mantel und sein „Fehler“ sollten also unter die Lupe genommen werden, erinnern sie doch an die Verantwortung, die der Tempelritter gegenüber Nathan und seiner Tochter gezeigt hat. Der Tempelherr muss demnach „etwas aus sich machen“, um der durch seine heldenhafte Tat übernommenen Verantwortung vollauf gerecht zu werden. Und auch gegenüber Saladin hat der junge Christ etwas wiedergutzumachen.

Es gibt Nathan-Interpreten, die das Drama für ein analytisches halten. Diese Auffassung vertreten hieße, nach der dem Drama vorausgesetzten Schuld an dem Streit der Religionen beziehungsweise nach einem Schuldigen Ausschau zu halten. Oder es hieße, die Abgründe in dieser in mehrfacher Hinsicht verwickelten Familiengeschichte auszumessen.

Auch der Tempelherr bleibt fixiert auf die Frage nach der Schuld, indem er zum Beispiel im Gespräch mit Nathan die schreiende Ungerechtigkeit der Kreuzzüge thematisiert:

„Wenn hat, und wo die fromme Raserei, / 
Den bessern Gott zu haben, diesen bessern /
Der ganzen Welt als besten aufzudringen,/
In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr/
Gezeigt, als hier, als itzt?“ (II. V. 1297–1301)

Und auch die verwickelte eigene Familiengeschichte ist dem Tempelritter schmerzlich bewusst:

 „Doch /
Entlasst mich immer meiner Ahnenprobe“ (III. IX. 2210–11)