Narziss Nathanael

Die Umgestaltung der Figur des Rächers

Das Kindheitstrauma bedeutet einen starken Einbruch in Nathanaels Lebenslauf, in das, was er fühlt und fürchtet, denkt und tut. Den Ausgang bildet die Situation hinter der Gardine, in der Stube des Vaters. Von dieser nimmt das seltsame Rachedrama, das E. T. A. Hoffmann im „Sandmann“ entwickelt, seinen Ausgang. Dass Nathanael den ernsthaften Entschluss zur Rache nicht ausführen kann, liegt zum einen an seiner wiederholten Ideenflucht und an narzisstischer Selbstbespiegelung. Der starke Einbruch in der Kindheit ist vor allem von der Angst bestimmt, die Augen durch den im Advokaten Coppelius, aus der Sicht des panisch reagierenden Kindes, wirklich gewordenen Sandmann zu verlieren – die beim Menschen so exponierten Augen, das, was ihn seit seiner Selbstaufrichtung im Prozess der Evolution von anderen Wesen unterscheidet; eine Angst, die der Kastrationsangst zum „Ersatz“ dient, wie Sigmund Freud betont (Sigmund Freud: Das Unheimliche, hrsg. von Oliver Jahraus. Reclam UB Nr. 14030: Stuttgart 2020, 22–23). Noch ein zweiter, stärker wirksamer Einbruch in Nathanaels Leben ist festzuhalten; das ist die von E. T. A. Hoffmann gründlich vorgenommene Umgestaltung der Figur des Rächers zu der Gestalt des Melancholikers. Der Leser sieht Nathanael bei kunstvoll verwickeltem Wechsel zwischen Realität und Illusion wie Narziss starr über das Spiegelbild der eigenen Reflexionen gebeugt. Problematisch wird die Situation für den in den Wahnsinn sich steigernden Helden dadurch, dass er in der Maschinenfrau Olimpia sein(e) Echo findet.

Mit welchem Feuer Nathanael der Maschinenfrau begegnet! Hervorzuheben ist das Taschenperspektiv, mit dem der verliebte Student das Objekt der Begierde aus der Nähe zu betrachten versucht. Es lässt, je nach Stellung und Spiegelung, unzählige Deutungen und Konstruktionen der abgebildeten Erscheinung zu. Einerseits wird Olimpia als Maschine betrachtet, ihrer Starre und Seelenlosigkeit wegen abgelehnt; anders Nathanael, dem die sonderbare Mechanik der Frau Gelegenheit gibt, eigenen Tätigkeitssinn, Fantasien und Sehnsüchte darauf zu projizieren.

Arbeitsanregungen:

  1. Bereite einen Vortrag über den Narzissmus vor. Zur Veranschaulichung solltest du dabei ein Schaubild zeigen. Die Grundlage des Vortrags wird dabei das beigefügte Video bilden.
  2. Versuche einen Ausblick auf die Anwendung des Begriffs im „Sandmann“ zu geben.