Die allegorische Darstellung der Welt: Schifffahrt mit Zuschauer

Der barocke Allegoriegebrauch

Auch wenn man, wie Walter Benjamin, sagt, in großer Klage habe der Barock seinen beredten Ausdruck gefunden und in der leidenden Kreatur seinen Spiegel, „in dessen Rahmen allein die moralische Welt des Barock sich vor Augen stellt“ (Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels, hrsg. von Rolf Tiedemann. Suhrkamp Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main 1978, S. 72), muss man diese Epoche auch unter dem Aspekt ihres Erziehungsanspruches betrachten. Denn dass das unausweichliche Leid der Welt den deutschen Dichtern aus erzieherischen Gründen zum Thema werden konnte, muss dabei zur Sprache kommen. Erziehung mit Mitteln der Allegorie und Rhetorik spielte im Barock eine große Rolle.

Wie viele Umwege ist der barocke Dichter gegangen, um die Welt in allegorischer Sprache zu erschließen! So in dem Beispiel, das Georg Philipp Harsdörffer (* 1607 † 1658) gibt: „Das Schiff und Schiffart wird verglichen mit dem Menschlichen Leben / welches dem Glück und Unglück auf vielfältige Weise unterworffen ist“ (Georg Philipp Harsdörffer: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 407). Dementsprechend heißt es, dass die Welt „das wilde Meer“ (ebd., S. 487) sei und dass das Meer „die Deutung deß unbeständigen Glückes und Unglückes“ (ebd., S. 341) habe.

Dazu passt beispielsweise Andreas Gryphius’ Sonett „An die Welt“:

Mein offt bestürmbtes Schiff der grimmen Winde Spil
Der frechen Wellen Baal / das schir die Flutt getrennet
Das über Klip auff Klip' / und Schaum / und Sandt gerennet;
Komt vor der Zeit an Port / den meine Seele wil.

Offt / wenn uns schwartze Nacht im Mittag überfil
Hat der geschwinde Plitz die Segel schir verbrennet!
Wie offt hab ich den Wind / und Nord’ und Sud verkennet!
Wie schadhafft ist der Mast / Steur / Ruder / Schwerdt und Kill.

Steig aus du müder Geist / steig aus! wir sind am Lande!
Was graut dir für dem Port / itzt wirst du aller Bande
Und Angst / und herber Pein / und schwerer Schmertzen loß.

Ade / verfluchte Welt: du See voll rauer Stürme!
Glück zu mein Vaterland / das stette Ruh' im Schirme
Und Schutz und Friden hält / du ewig-lichtes Schloß.

Gryphius’ Fähigkeit, das Leben als fortwährenden Verfallsprozess darzustellen, tritt deutlich vor Augen. Im Grunde lernt nur der zu leben, der die Kunst des Sterbens (Ars moriendi) gelernt hat. Wie aber soll dieses lebenslange Sterben Ausdruck werden, durch Bilder, durch Vergleiche oder Sätze ganz anderer Art? Für barocke Dichter wie Andreas Gryphius ist die Welt mit Bildern durchsetzt und ihre Geschichte mit prägnant-realen Erinnerungsbildern gegenwärtig. Es ist daher gerechtfertigt, die Welt als ein bebildertes Buch zu lesen. Jede Kunst bekommt im Lichte dieser Wahrheit (philosophia imaginum), allegorisch geordnet, ihre Bedeutung, selbst die erwähnte Kunst des Sterbens.

An den verwirrenden Widerspruch zwischen allegorischer und wissenschaftlicher Erkenntnis haben die Philosophen der Aufklärung erinnert. Allegorische Erkenntnis vermittelt dem Angeschauten Überzeugungskraft, indem sie das Bild zum Teil der natürlichen Anschauung werden lässt. Für diese Erkenntnisart – so hat es Walter Benjamin eindringlich beschrieben – sind die Barockdichter zum Zwecke moralischer Unterweisung ihres Publikums eingetreten. Wissenschaftliche Erkenntnis dagegen zieht die Anschauung selbst in Zweifel, indem sie eine geistige Perspektive einnimmt. „Mit ihr erst stehen wir an der Schwelle der eigentlich ‚theoretischen‘ Weltbetrachtung“ (Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil: Phänomenologie der Erkenntnis, hrsg. v. Birgit Recki. Felix Meiner Verlag: Hamburg 2002, S. 325). So rückt der Barock, der an der natürlichen, vergleichenden Anschauung festhält, den Aufklärern in das Reich des Rätselhaften-Geheimnisvollen.

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