Unwahrscheinlich hässlich!

Andreas Gryphius’ Spottgedicht „An eine Geschminkte“

Es ist erstaunlich, welchen Eindruck Kleidung à la mode im Barock hinterlassen hat, gab es doch tausend Gründe zur Ängstlichkeit. Wollte jeder Mensch sich nicht eher verstecken als sich zeigen? Verschaffen imposante Perücken, mit Goldpailletten besetzte Hauben den durch Leben und Leid geprüften Menschen also doch Erleichterung? Lässt die Schönheit sie Atem holen? Wie oft haben die Menschen des Barock jemanden auf die beste Art gekleidet gesehen, so exquisit ausgestattet, wie es das petrarkistische Schönheitslob vorgibt? Es ist dieses Medium, das die Linien des Körpers Vers für Vers auf das Vorteilhafteste nachzeichnet, das Andreas Gryphius, den schlesischen Dichter, angeregt haben muss, das vorliegende Gedicht zu schreiben.

Das Gedicht ist im Jahr 1637 erschienen, als 28. in der Sammlung der Lissaer Sonette. Die Zeit ist von Widersprüchen geprägt. Jahrzehnte des Elends liegen hinter den Deutschen. Die Toten liegen entlang der Elbe und weiter verstreut, den Spuren des machthungrigen Wallenstein folgend. So verhält es sich auch im übrigen Europa: Der Dreißigjährige Krieg bringt unsägliches Leid über die Menschen. Wie gefährdet ist das Gleichgewicht zwischen der Darstellung des Schönen und Erhabenen und der Darstellung des Hässlichen und Niedrigen! Es hat den Dichter offenbar dazu gedrängt, die Schönheit der dargestellten Frau in ihr Gegenteil zu verkehren: Er gibt sie der Lächerlichkeit preis. Das Gericht trägt den Titel „An eine Geschminkte“; von der Form her handelt es sich um ein Sonett. Vermutlich will es sagen: Vergesst diese Frau nie! Ihre Oberflächlichkeit ist einzigartig!

An eine Geschminckte

Was ist an Euch/ das Ihr Ewr eigen möget nennen?
Die Zähne sind durch Kunst in leeren Mund gebracht;
Euch hat der Schmincke dunst das Antlitz schön gemacht/
Daß Ihr tragt frembdes Haar/ kan leicht ein jeder kennen/

Vnnd daß Ewr Wangen von gezwungner Röte brennen/
Ist allen offenbahr/ deß Halses falsche Pracht/
Vnd die polirte Stirn wird billich außgelacht,
Wenn man die salben sich schawt vmb die Runtzeln trennen.

Wenn diß von aussen ist/ was mag wol in Euch sein/
Alß List vnd Trügerey/ Ich bild mir sicher ein/
Daß vnter einem Haupt/ das sich so falsch gezieret/

Auch ein falsch Hertze steh/ voll schnöder heucheley.
Sambt eim geschminckten Sin vnd Gleißnerey darbey/
Durch welche (wer Euch trawt) wird jammerlich verführet.

Andreas Gryphius, 1637

Das für Sonette vorgesehene Reimschema wird eingehalten: Den umarmenden Reimen in den Quartetten (abba, abba) folgen Schweifreime in den Terzetten (ccd, eed). Als Versmaß hat der Dichter den Alexandriner gewählt, an den Schnittstellen, den Zäsuren, stehen in betonter Stellung bedeutungsschwere Wörter wie „Kunst“ (V. 2), „dunst“ (V. 3), „Trügerey“ (V. 10), „geschminkte[r] sin“ (V. 13). Der Jambus ist regelmäßig gebaut, Wort- und Versakzent fallen bis auf eine Ausnahme (V. 13: „Wenn mán die sálben sich scháwt“) zusammen.

Gegenstand der Quartette ist das geschminkte Gesicht einer älteren Frau. Körperliche Mängel werden bloßgestellt: Die Dame trägt Perücke und falsche Zähne. Die Terzette des Sonetts sind dem „Inneren“ des angesprochenen Du gewidmet. Sie handeln von der Verführungskunst, der Eitelkeit der dargestellten Dame.

Bildquelle: Städelmuseum

„Was ist an Euch/ das Ihr Ewr eigen möget nennen?“ (V. 1). Die Grundaussage des Gedichtes wird an der rhetorisch zugespitzten Eingangsfrage deutlich: Alles ist falsch an dieser Dame, suggeriert diese Frage, oder anders gewendet: Ich empfinde Abscheu und Ekel vor dieser Frau. Doch versperrt solch eine sarkastische Frage nicht den Blick auf den Sinn der Zeilen, die von der Form her gesehen dem Schönheitslob gewidmet sind? Wer sieht die Schönheit noch, wenn sie durch den Spott vergiftet wird? Der frappante Widerspruch zwischen Form und Inhalt kann in diesem Zusammenhang nur angedeutet werden: Einerseits stilisiert sich der angriffslustige Sprecher des vorliegenden Gedichtes zum genauen Beobachter der äußeren Erscheinung, wie es die Liebenden in den Sonetten Petrarcas, des Pioniers eines identitätsstiftenden europäischen Liebesmodells, auf die gleiche Art und Weise zu tun pflegen. Wie es für das Schönheitslob üblich ist, wird die Schönheit der angesprochenen Frau „inventarisiert“, „katalogisiert“, ihr Gesicht wird in allen Einzelheiten dargelegt, um die Komplimente für die Schöne zu steigern. Doch andererseits wird das Lob sogleich hinweggefegt: Die „Zähne“ (V. 2) werden gleichsam wieder aus dem Mund der Geschminkten genommen, um auf deren Zahnlosigkeit hinzuweisen, welche aufgrund des Alters oder sonstiger Dinge wegen eingetreten sein mag.

Es sei erstaunlich, hieß es eingangs, welchen Eindruck Mode in Zeiten des Krieges hinterlassen hat und, um den Gedanken fortzuführen, welcher künstliche Aufwand darauf verwandt wurde, die äußere Erscheinung in das beste Licht zu rücken. Künstliche Zähne, Perücke („frembdes Haar“, V. 4) und glättendes Make-up („die polirte Stirn“, V. 7) werden in den Quartetten des vorliegenden Sonetts genannt, Mittel, die geholfen haben mögen, Lücken im Gebiss, unreine Haut, Falten, Haarausfall, kurz, Mängel der äußeren Erscheinung zu verbergen.

Schönheit schließt Make-up nicht aus. Wie sehr die Schönheitspflege Anerkennung verdient, hat bereits Ovid gelehrt: „Die Ars amatoria kann als kanonisches Werk über die Schönheitspflege für Männer und Frauen in der Geschichte der Künste gelten. Für Ovid waren ein gepflegtes Äußeres sowie zum Typ passende Kleidung und Frisur Ausdruck einer kultivierten, verfeinerten Gesellschaft und damit das Ideal für beide Geschlechter“ (Ovid: Der Anschein von Natürlichkeit, komm. von Romana Sammern. In: Schönheit – der Körper als Kunstprodukt. Kommentierte Quellentexte von Cicero bis Goya, hrsg. von Romana Sammern und Julia Saviello. Dietrich Reimer Verlag: Berlin 2019, 52). Andreas Gryphius hat, wie es in dem vorliegenden Fall den Anschein hat, sich die Möglichkeit erspart oder versperrt, das geschminkte Gesicht, den mit Schönheitsmitteln vervollkommneten Körper als schön anzusehen.

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