Von Menschen und Göttern

Iphigenie und Diana Das Problem der Iphigenie lässt sich als die Frage nach ihrem Verhältnis zu den Göttern umschreiben. Dabei ist ein Verhältnis nur ein Verhältnis im eigentlichen Sinn, wenn es sich nicht nur auf Äußerlichkeiten bezieht. Ein Verhältnis im eigentlichen Sinn wird vielmehr an einer existenziellen Gottverbundenheit kenntlich. Es ist klar, dass Iphigenie in diesem Sinne religiös ist, dass sie von der Erfahrung durchdrungen ist, dass Diana ihr nah ist. Das Problem der Iphigenie besteht allerdings darin, dass die Nähe zu ihrer großen Lebensretterin sie nicht mit Freude erfüllt. Arbeitsanregungen: Ergänzen Sie: Religion ist … Wie wird Religion […]

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Malum metaphysicum

Iphigenies Klage Seit der Zeit der Aufklärung wird die Metaphysik skeptisch betrachtet. Der Zweifel an ihr gründet sich auf der Leugnung ihrer Wissenschaftlichkeit. In der Tat steht ihr Anspruch, als „erste Philosophie“ die Wahrheit über das Sein zu beschreiben, wissenschaftlich gesehen auf schwachen Füßen. Nichtsdestoweniger spiegelt die Metaphysik das Bedürfnis wider, Antworten auf spezifisch menschliche Fragen zu formulieren. So mag sich jemand zum Beispiel fragen, was seine Stellung in der Welt sei. Er kann sich fragen, warum ihn das Leben mit Unbehagen erfüllt. Er mag sich angesichts der Weltgeschichte wundern, ob sie mehr sei als die ewige Wiederkehr des […]

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Menschenopfer

In der Vorstellung des Menschenopfers schwingt so viel an Fantasie mit, dass die kritische Untersuchung ratsam erscheint. Was an dieser Vorstellung ist historisch gesehen Faktum, was beruht auf Unterstellung? Freilich befördert es die Fantasie, dass das Menschenopfer einem zum Beispiel in vielen Kinofilmen vor Augen steht. Ist nicht die Ambivalenz des Opfers im Film „King Kong“ (1933) für alle sichtbar geworden, die Verwandlung des rituellen Tötungsaktes in den erlösenden Akt der Liebe? Oder die Erzählung vom Isaaksopfer (Genesis 22,1–19), um einen anderen Bereich anzuführen – verhält es sich da nicht ähnlich? Die Tötung, das eigentliche Opfer, wird zur Nebensache. […]

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Schürzung des Knotens

Goethe: Iphigenie auf Tauris, II, 2 Goethes Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“ gilt als klassisches Humanitätsdrama. Iphigenie verkörpert, was auszufüllen kein einzelner Mensch imstande ist: die „reine Menschlichkeit“, wie Goethe selbst, nicht ohne Selbstkritik, im Hinblick auf dieses Drama bemerkt. In der vorliegenden Szene (II, 2) wird Iphigenie mit einem der beiden Gefangenen konfrontiert. Es handelt sich um ihren Cousin Pylades, den Gefährten ihres Bruders, der von Iphigenie jedoch nicht erkannt wird. Die Priesterin nimmt dem Gefangenen die Fesseln ab. Hierauf kommt es zu einem folgenreichen Gespräch zwischen der Priesterin und dem Fremden. Iphigenie erfährt, dass Troja zerstört worden ist. […]

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Was wäre, wenn die Götter zu Staub zerfielen?

Iphigenies Konflikt mit den Göttern Die Aufklärung, vor allem in Frankreich, ist religionskritisch. Männer wie Descartes sind von dem festen Vorsatz bestimmt, alles von Grund auf anzuzweifeln und umzustürzen. Was wäre, wenn die Götter nicht existierten, wenn auch der christliche Gott zu Staub zerfiele? Hatten nicht bereits die von den Aufklärern bewunderten Schriftsteller der Antike ihr Misstrauen gegenüber der Religion geäußert? War Cicero zum Beispiel nicht davon überzeugt, dass die Religion der Philosophen („religio philosophorum“) nichts mit der Religion der Masse („religio vulgi“) gemein habe? Goethe übernimmt diese Gedanken in dem Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“. Zunehmend wird Iphigenie sich […]

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