Vom Ausbleiben der Erkenntnis –

Der Erzähler in Kafkas Roman „Der Proceß“ Auch der personale Erzähler ist uns gegenwärtig. Zwar ist der auktoriale Erzähler uns näher, indem er klar Stellung bezieht, keinen Zweifel über die Zusammenhänge lässt. Besser gesagt: der auktoriale Erzähler tritt deutlicher in Erscheinung, indem er größer ist als die darzustellenden Figuren, indem er ihnen ins Wort fällt, indem er schamlos alles vorwegnimmt, was er weiß. Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich. (Lew N. Tolstoi: Anna Karenina. Roman. Aus dem Russischen von Fred Ottow. Düsseldorf: Artemis & Winkler 2007, 7) Der in diesem berühmten […]

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Kafkaeske Ironie

Der Proceß: Das erste Kapitel Es wird eine Geschichte erzählt, deren Titel auf einen Thriller im Gerichtsmilieu oder auf einen Krimi schließen lassen könnte. Die im ersten Kapitel dargestellte Verhaftung zieht sich besonders lange – und umständlich – hin, so dass der Fall des Verhafteten als besonders schwerwiegend erachtet werden könnte. Die Helfer und Funktionäre des Gerichts, Franz, Willem und der Aufseher sind dementsprechend, von ihrer Schadenfreude einmal abgesehen, ernst gestimmt. Erstaunlich ist nur, dass sie in entscheidenden Fragen sich nicht zu helfen wissen. So „praktisch“ – ähnlich ihren Dienstanzügen – und eilfertig sich auch die Wächter Franz und […]

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Die Gerechtigkeit der Götter

Franz Kafka: Der Proceß Oder: Die immerwährende Scham Josef K. versucht in das Innerste seiner Schuld zu blicken, geht aber weiterhin den gewohnten Tätigkeiten nach. Gerade im Gewohntesten stecken die größten Rätsel. Gerade im Banalen lässt sich das Unrecht wiederfinden. Die Gerechtigkeit aber schwebt als Siegesgöttin darüber, mit Flügeln an den Fersen. Das ist ironisch gemeint. Denn wen betrifft diese schwankende Gerechtigkeit mit Flügeln? Immer die Falschen – wie es der erste Satz des Romans bereits nahelegt: Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet. In diesem Satz […]

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Figuren der Fabel

Von der Fabel ist in der Schule gelegentlich die Rede. Dabei wird selten die Frage gestellt, warum die Figuren der Fabel eigentlich Tiere sind. Lessing, der so viele Aspekte der Fabel berücksichtigt hat, hat diesen Aspekt merkwürdigerweise ausgelassen. Anscheinend hat er insgesamt darauf verzichtet, eine umfassende Darstellung der Gattung zu liefern. Für die Deutung der Erzählungen Franz Kafkas jedoch, die, um es zugespitzt zu formulieren, sämtlich Tiererzählungen sind, spielt dieser Aspekt die entscheidende Rolle. Kleine Fabel „Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter […]

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Besuch vom Lande –

K. und die Männer: Der Onkel Der Onkel tritt sicherlich an Josef K. heran, um ihm zu helfen. Der Onkel gehört zum erweiterten Familienkreis, ist K. aber dadurch besonders verbunden, da er dessen Vormund gewesen ist. Unter den Begriff des Vormunds – ursprünglich ein rein juristischer Begriff – wird vieles subsumiert. Im juristischen Sinn ist der Vormund dazu da, für die wirtschaftliche Sicherheit des Mündels zu sorgen. Er ist zur Stelle, so lange bis das Mündel für die wirtschaftliche Selbsterhaltung sorgen kann und damit „mündig“ wird. Im weiteren Zusammenhang ist der Vormund jedoch auch als Autoritätsperson, als Vater-Ersatz zur […]

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