Nosce te ipsum

Dreißig Jahre nach der schwierigen Korrespondenz mit dem Lordkanzler Francis Bacon lebte Lord Chandos noch. Wie lange nachher, weiß man nicht. Im Alter soll er nicht mehr so einsam gewesen sein. Manche haben ihn in der Kirche gesehen, schlank wie in der Jugend, das Gebetbuch zwischen den faltigen Händen.     Hugo von Hofmannsthal: Ein Brief Lösungen darf man im Brief des Lord Chandos nicht suchen. Immer wieder richtet sich der Blick dieser historisch kaum fassbaren Lordschaft auf das, was er als seine Entwicklung erkannt hat. Er versucht den Stellenwert einzelner Werke zu bestimmen. Wessen Werke sind es? Hat […]

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Bei deiner Kuh

Bei deiner Kuh hast du Fried’ und Ruh. Die Natur schiebt der Sprache den Riegel vor. Warum also sollte die Kuh die Sprache gegen die Sprache gebrauchen?    Von der Wende zur literarischen Moderne ist die Rede, seit die Sprache für die Literaten an Bedeutung verliert. Insbesondere Schriftsteller der Dekadenz wie Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) halten daran fest, dass die Sprache nichts mehr tauge. Für ihn will das heißen, dass sie auf ihre kommunikative Rolle eingeschränkt worden ist. Dass die Sprache „so abgegriffen wie schlechte Münzen [sei]“ (Hugo von Hofmannsthal, GW X 413 [Aufzeichnungen 1896]), will sagen, dass sie, […]

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Lebhafter Grenzverkehr

Wie deutsch ist unsere Literatur? Sachtextanalyse Die Frage nach der deutschen Literatur hat mit der Frage nach der deutschen Sprache viel gemeinsam. Denn die Analyse der Sprachentwicklung hat gezeigt, dass die deutsche Sprache als Mischsprache zu verstehen sei und nicht als Sprache eines einzelnen Stammes. Auch für die deutsche Literatur verhält es sich so, dass kaum etwas sich in gerader Linie fortgesetzt hat. Deutsche Literatur als Literatur deutscher Nation findet sich, genau genommen, erst seit dem Januar 1871. Deutsche Literatur als Literatur der Deutschen dagegen lässt sich im 13. Jahrhundert und davor, im religiösen Bereich vor allem, in karolingischer […]

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Vom Ursprung der Sprache

Condillac Die Sprachursprungsfrage ist Sinnbild dafür, dass das Bewusstsein für die Totalität der Geschichte erwacht. Die dem Menschen immanente Geschichte, die Anschauung, dass jeder Mensch seine eigene Geschichte habe, von der Wiege bis zur Bahre, ist damit zum Problem geworden. Es wäre interessant zu untersuchen, inwieweit die Sprachphilosophen der Aufklärung (Condillac, Süßmilch, Herder) sich dieses Problems bewusst waren. Das „Lexikon der Aufklärung“ hält fest: „Geschichtsphilosophie im modernen Sinne des Wortes, nämlich als systematische Theorie vom Wesen und Verlauf der Geschichte, ist ein Produkt der angeblich geschichtsfeindlichen Aufklärung; auch der Ausdruck Geschichtsphilosophie scheint erst im 18. Jahrhundert geprägt worden zu […]

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Die Wahrheit der Namen

Das Besondere an der φύσει-Theorie ist die Annahme, dass die Dinge, die in der Welt vorkommen, und die Sprache einander entsprechen können. Es geht dabei um die Richtigkeit der Sprache bzw. Namen, die Zuordnung der Namen zu den bezeichneten Dingen kann, so lautet die Annahme, natürlich motiviert sein. Dies beweise die Etymologie gewisser Wörter, was aus den folgenden Beispielen hervorgeht. 1. Name bzw. Bezeichnung: Mama < frz. maman vgl. lat. mamma (Mutterbrust; Amme), griech. μάμμη Lallwort der Kindersprache Bedeutung bzw. Vorstellungsgehalt „Essen“ 2. Name bzw. Bezeichnung: Feuer < ahd. fiur vgl. lat. purus (rein), griech. πῦρ Bedeutung bzw. Vorstellungsgehalt […]

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Die Sprache

Prinzipien der Sprachtheorie Der Gegenstand der Sprachtheorie wird traditionell in zwei Bereiche aufgeteilt, in den der θέσει und in den der φύσει. Die Sprache ist demzufolge unvollkommen, weder stellt sie ein einheitliches Wesen dar, noch vermittelt sie eine einheitliche Erkenntnis. Der θέσει (griech. „Gesetzgebung; Konvention“) nach ist sie reine Willkür. Die Dinge, die ja für sich genommen „stumm“ sind, können mit diesem oder mit jenem Laut bezeichnet werden. Der Stubenfliege ist der sprachliche Laut versagt, sie teilt ihr Wesen nicht unmittelbar und bewusst mit. Allerdings ist ihr Wesen zu sehen. Doch davon kann nur an anderem Ort die Rede […]

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Über die Seelensprache

Herders Sprachursprungsfrage Die Sprachphilosophie in ihrer modernen Form beginnt mit der Epoche der Romantik. Denn das Interesse dieser Epoche an den „Seelenlandschaften“ des Menschen bedingt auch ihr besonderes Interesse an der Sprache, ist doch die Sprache, wie Wilhelm von Humboldt es ausdrückt, das „Organ der Seele“. Demnach werden die Seelenkräfte des Menschen, das, woraus die Psyche des Menschen sich bildet, „mit, in und oft nach der Sprache“ (Johann Gottfried Herder) vermittelt. Herder ist der Ansicht, dass es eine Seelensprache gebe. Sprache meint in diesem Zusammenhang die Mitteilung „innerlicher Merkwörter“, wobei an der Bezeichnung „Merkwörter“ schon deutlich wird, dass Sprache […]

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