Vater und Sohn

Gabriele Wohmann: „Denk immer an heut nachmittag“ (1968)

Die Kurzgeschichte „Denk immer an heut nachmittag“ von Gabriele Wohmann aus dem Jahr 1968 schildert die Schwierigkeiten eines Vaters, mit seinem Sohn zu kommunizieren, nachdem die Ehefrau und Mutter verstorben ist.

Das zu Grunde liegende Geschehen lässt sich mit wenigen Sätzen zusammenfassen: Ein Mann, der vor Kurzem seine Frau verloren hat, muss seinen Sohn in einer Internatsschule unterbringen. Auf dem Weg zur Einschulung versucht der Vater den Sohn mit allerlei gut gemeinten Ratschlägen aufzuheitern, die aber sämtlich fehlschlagen. Die Situation lässt sich nach vier Aspekten gliedern:

  • die Bahnfahrt;
  • das Gespräch über den Jungen, der die Bahn mit dem Fahrrad verfolgt;
  • die Ankunft vor der Schule;
  • der Blick auf das Ballspiel der Schüler.

Der Text weist die typischen Merkmale einer Kurzgeschichte auf: die Kürze des Textes, der fingierte Realitätsbezug („Medias in res!“), die Anonymität der dargestellten Figuren, die Beschränkung auf wenige Figuren, die konfliktreiche Beziehung zwischen den Figuren, die kurze Erzählerdistanz, die nicht-auktoriale Erzählperspektive und die Situationszentrierung. Es handelt sich um eine Geschichte ohne erkennbaren Höhepunkt: Der Fokus liegt auf der Darstellung der traurigen Lage, in der sich Vater und Sohn nach dem Tod der Mutter bzw. Frau befinden. Der Vater versucht die Lage schön zu reden, der Sohn reagiert in sich gekehrt und mit Tränen.

Der Beziehungsaspekt hat in der Kommunikation deutlich mehr Gewicht als der Inhaltsaspekt, was sich z. B. an der Äußerung „Ach du Langweiler“ (Z. 42–43) nachweisen lässt, zeigt sie doch, dass der Vater durchaus fähig ist, die Trauer seines Sohnes über den Tod der Mutter richtig einzuschätzen, wobei es ihm aber nicht gelingt, für sein Mitgefühl die angemessenen Worte zu finden. Der Vater redet vielmehr wie ein Unterhaltungskünstler, der aus jeder schlechten Lage noch das Beste zu machen versteht.

Das Gespräch scheitert u. a. daran, dass der Vater das Gespräch von Beginn an dominiert. Er dominiert das Gespräch in einem Maße, das im Sinne Watzlawicks von asymmetrischer bzw. komplementärer Kommunikation gesprochen werden kann.

Die Analyse mithilfe des Kommunikationsmodells von Schulz von Thun führt prinzipiell zu ähnlichen Ergebnissen. Sie zeigt im Übrigen, dass die Selbstkundgabe des Vaters folgendermaßen lauten könnte: Ich verstehe deine Lage. Ich möchte, dass du heil aus dieser Situation herauskommst. Ich meine, dass du einen Freund brauchst. Auf der Appellseite überwiegen Botschaften wie: Sei stark! Sei ein Mann! Halte dich tapfer! Aus falsch verstandenem Verantwortungsgefühl versucht der Vater die Situation mit überdrehten, teilweise auch ins Ernsthafte schwenkenden – und daher komisch wirkenden – Ratschlägen zu retten.

Die wenigen Äußerungen des Sohnes, seine Tränen als nonverbale Mitteilung könnten folgendermaßen interpretiert werden: Ich bin traurig; ich fühle mich einsam; ich habe Angst vor der Zukunft – und schließlich: Ich verstehe, dass auch du unter Mutters Tod leiden könntest.

Die Situation wird konsequent aus der Sicht des Jungen, in Form des personalen Er-Erzählers, erzählt. Die Erzähldistanz ist kurz, die Gegenstände (Handschuhe, Messingstange usw.) werden aus kurzer Distanz betrachtet. Diese Erzählweise ist der Situation des Kindes angepasst: Der Junge wird gewissermaßen von der belastenden Situation „erdrückt“.