Die Kurzgeschichte

Bei der Kurzgeschichte kommt es viel weniger darauf an, dass der Erzähler dem Leser ein Ereignis, als dass er ihm eine Situation darstellt. Die ersten, die diese Umänderung im Erzählen bemerkt haben, sind Erzähler der literarischen Moderne gewesen, Robert Musil zum Beispiel, Alfred Döblin, Ernst Toller und Kurt Tucholsky. Es beeinträchtigt diese Beobachtung nicht, dass die Kurzgeschichte im eigentlichen Sinn (Short Story) im englischsprachigen Raum entstanden ist. Entscheidend bleibt, dass die „Wahrheit der Erzählung“ nicht außerhalb des Erzählten gesucht wird. Kafkas Kurzgeschichten müssen als Parabeln verstanden werden und stellen daher eine Ausnahme von dieser Regel dar. Das Neuartige an […]

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Überwindung des Realismus

Die Kurzgeschichten Franz Kafkas Die Kurzgeschichten Franz Kafkas sind in der Regel auf eine Situation und nicht auf ein Ereignis bezogen. Die dargestellte Situation in ihrer unmittelbaren Erscheinungsweise scheint dabei der Wirklichkeit außerordentlich nahezukommen. Trotzdem haben Kafkas Geschichten in ihren entscheidenden Bestimmungen nichts mit realistischer Erzählkunst zu tun. Die Abgrenzung gegenüber dem Realismus ist notwendig. Nur so wird die Eigentümlichkeit der Texte Kafkas auffällig. Zwar beginnen die Texte meist konventionell, erhalten dann aber einen völlig anderen Akzent, von dem im Folgenden die Rede sein soll. Die Geschichte „Die Sorge des Hausvaters“ zum Beispiel erzeugt den Eindruck, es gehe um […]

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Vater und Sohn

Gabriele Wohmann: „Denk immer an heut nachmittag“ (1968) Die Kurzgeschichte „Denk immer an heut nachmittag“ von Gabriele Wohmann aus dem Jahr 1968 schildert die Schwierigkeiten eines Vaters, mit seinem Sohn zu kommunizieren, nachdem die Ehefrau und Mutter verstorben ist. Das zu Grunde liegende Geschehen lässt sich mit wenigen Sätzen zusammenfassen: Ein Mann, der vor Kurzem seine Frau verloren hat, muss seinen Sohn in einer Internatsschule unterbringen. Auf dem Weg zur Einschulung versucht der Vater den Sohn mit allerlei gut gemeinten Ratschlägen aufzuheitern, die aber sämtlich fehlschlagen. Die Situation lässt sich nach vier Aspekten gliedern: die Bahnfahrt; das Gespräch über […]

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Neue Sachlichkeit

Ganz ohne Fantasie scheint die Literatur der Moderne zu sein. Ihre Bilder wirken billig – entwertet durch das Dogma des Fortschritts. Das Erlebnis tritt in den Hintergrund. Es ist die Stunde der Wissenschaften und der Männer und Frauen ohne Eigenschaften. Doris zum Beispiel, die Protagonistin in Irmgard Keuns Roman „Das kunstseidene Mädchen“, welcher im Jahr 1932 erschienen ist, gibt zwar vor, großartig zu sein, verdinglicht sich jedoch, indem sie ihre besonderen Vorzüge so betrachtet, wie es bei einer im Grunde austauschbaren Ware der Fall wäre. Ihre Selbstwahrnehmung stimmt mit dem Gesamtbild überein. Die Massenmedien der Weimarer Republik propagieren den […]

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Das Unglück in München

Tony Buddenbrooks Ehe mit Alois Permaneder Thomas Mann: Buddenbrooks. 6. Kapitel Das Unglück in München – Tony Buddenbrooks Ehe mit Alois Permaneder Der Roman „Buddenbrooks“ von Thomas Mann, 1901 erschienen, ist eine Familienchronik der besonderen Art. Der Bogen spannt sich über mehrere Generationen, von 1835 bis 1877. Erzählt wird die Geschichte der Lübecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook, angefangen vom Sohn des Firmengründers, Johann Buddenbrook (gest. 1842), bis zu Thomas Buddenbrook (gest. 1875), nach dessen Tod die Firma liquidiert wird. Johann Buddenbrook ist während der napoleonischen Befreiungskriege durch Getreidelieferungen an das preußische Heer zu Reichtum gekommen. Die Handlung setzt ein, als das […]

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