Kafkas Kippfiguren

Kafkas Figurengestaltung im Roman „Der Prozess“ Die Erzählperspektive bildet die conditio sine qua non. Nicht das Wissen über die Inhalte von Kafkas Roman „Der Prozess“, sondern das Wissen über die Verzerrung der Inhalte, die durch diese Perspektive bedingt ist, verschafft einen Zugang zum Gesetz und damit zur Schuld des Protagonisten. Das Tor zum Gesetz wird nicht durch festes Mauerwerk begrenzt, sondern durch den von der jeweiligen Perspektive bestimmten psychischen Raum. Wenn das Tor dem „Mann vom Lande“ verschlossen erscheint, durch übermächtige Wächter ausgefüllt, dann wird keiner mehr zugelassen. Die Wächter, deren es viele in diesem Roman gibt, haben sich […]

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Die Gerechtigkeit der Götter

Franz Kafka: Der Proceß Oder: Die immerwährende Scham Josef K. versucht in das Innerste seiner Schuld zu blicken, geht aber weiterhin den gewohnten Tätigkeiten nach. Gerade im Gewohntesten stecken die größten Rätsel. Gerade im Banalen lässt sich das Unrecht wiederfinden. Die Gerechtigkeit aber schwebt als Siegesgöttin darüber, mit Flügeln an den Fersen. Das ist ironisch gemeint. Denn wen betrifft diese schwankende Gerechtigkeit mit Flügeln? Immer die Falschen – wie es der erste Satz des Romans bereits nahelegt: Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet. In diesem Satz […]

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Besuch vom Lande –

K. und die Männer: Der Onkel Der Onkel tritt sicherlich an Josef K. heran, um ihm zu helfen. Der Onkel gehört zum erweiterten Familienkreis, ist K. aber dadurch besonders verbunden, da er dessen Vormund gewesen ist. Unter den Begriff des Vormunds – ursprünglich ein rein juristischer Begriff – wird vieles subsumiert. Im juristischen Sinn ist der Vormund dazu da, für die wirtschaftliche Sicherheit des Mündels zu sorgen. Er ist zur Stelle, so lange bis das Mündel für die wirtschaftliche Selbsterhaltung sorgen kann und damit „mündig“ wird. Im weiteren Zusammenhang ist der Vormund jedoch auch als Autoritätsperson, als Vater-Ersatz zur […]

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Kafkaeske Ironie

K. und die Frauen: Leni K. s Verwirrung infolge der Verhaftung zeigt sich zum Beispiel in dem unangemessenen Umgang mit Frauen, in dem Fehlen einer von der Vernunft geleiteten Schamkontrolle. Dieser Umgang hat zwei Typen: Die Frau ist für den hilflosen K. entweder Geliebte (Elsa, Leni, die Frau des Gerichtsdieners) oder Mutter (Frau Grubach). Im ersten Fall sind K.s psycho-soziale Probleme klarer sichtbar als im zweiten. Seine Unterwürfigkeit gegenüber der Geliebten spiegelt den Prozess seiner zunehmenden Depersonalisation wider. Er kann dem Schrecknis der Liebe nichts entgegensetzen. Der Erzähler verzichtet dabei nicht darauf, K.s Unterwürfigkeit als Schwäche bloßzustellen. Er gibt […]

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K. und die Frauen

1. Fräulein Bürstner Fräulein Bürstner, Josef K.s Zimmernachbarin, erweckt sein Interesse und bedeutet ihm Abwechslung in seinem infolge der Verhaftung halb und schal gewordenen Dasein. Im Verlauf ihrer Begegnung kommen K.s narzisstische Überlegenheitsgefühle hervor. K. glaubt Macht über Fräulein Bürstner ausüben zu können. Das erste Kapitel enthält ein Gespräch zwischen Josef K. und Fräulein Bürstner [Franz Kafka: Der Prozeß. Roman. Suhrkamp (st 3669): Berlin 6. Auflage 2012, 29,7–36,8]. K. drängt es danach, seiner Zimmernachbarin von den Umständen seiner Verhaftung zu erzählen. Er besteht darauf, die Verhaftung nachzuspielen, und rückt dafür sogar Fräulein Bürstners Nachttischchen von seinem Platz. Folgende Gliederung […]

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Der beengte Raum –

Der Blick Josef K.s als Bezugssystem Wer von der Untersuchung der Scham zur Untersuchung des Raums in Kafkas Roman „Der Proceß“ übergeht, betritt von einem allgemeinen Standpunkt aus eigentlich kein neues Gebiet. So bedeutsam der Unterschied zwischen Scham und Raum methodisch gesehen auch sein mag, sie bilden doch Unterarten derselben Gattung: der Widerspiegelung der Wirklichkeit. Gerade bei dem Raum bedarf dies keiner besonderen Begründung, denn der Raum kann nichts anderes bedeuten, als dass das, was in der Wirklichkeit als Raum erblickt wird, auf ein Bezugssystem verweist, in dem es „widergespiegelt“ wird. Es ist daher leicht verständlich, dass der Raum […]

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