Nathan als homo compensator

Nathan hat einen Vorläufer in Hiob, dessen Leiden Thema der biblischen Überlieferung ist. Was diesem an Schmerz zugefügt worden ist, wird in den ersten Kapiteln des Buches Hiob mitgeteilt. Darauf greift Lessing zurück. Der fromme Mann als Spiegel, in dessen Rahmen sich das Leid in unsäglicher Gestalt darstellt, artikuliert auf ergreifende Weise das Unbehagen an einer vermeintlich für ihn vorherbestimmten Wirklichkeit. Nicht genug, dass der fromme Mann all sein Vieh einbüßt, auch die Knechte kommen um, „mit der Schärfe des Schwerts“, Hiobs Söhne und Töchter werden bei einem Wirbelsturm erschlagen. Gott wird fürs Erste nicht entschuldigt. Die Hiobfrage steht […]

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The fault is not in our stars

Die Schuld des Tempelherrn im Drama „Nathan der Weise“ Was bedeutet die Frage nach der Schuld im Zusammenhang des vorliegenden Dramas? Die Frage nach der Schuld des Tempelherrn beispielsweise wirft außer der Beteiligung am Kreuzzug noch weitere Fragen auf. Insbesondere ist die Frage nach der Art der Schuld zu erörtern und zu klären, wie viel ihm selbst davon anzulasten ist. Der Titel dieser Überlegungen bezieht sich übrigens auf ein Shakespeare-Zitat. Im Drama „Julius Caesar“ heißt es: „The fault, dear Brutus, is not in our stars, / But in ourselves, that we are underlings. – Nicht durch die Schuld der […]

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Lessings Gretchenfrage

Die kontroverse Religionsauffassung im Drama „Nathan der Weise“ Die Religion war zu Lessings Zeiten hochgradig kontrovers. Kirchliche Lehre, Schriftauslegung, kirchliche Praxis – an jedem dieser Bereiche konnte die Kritik ansetzen. Das Christentum musste sich, vor allem auf der katholischen Seite, um Argumente bemühen, denn das Autoritätsargument, Gott als letztgültige Instanz in allen wichtigen Fragen anzusehen, überzeugte nicht mehr. Man musste über alle drei Bereiche neu nachdenken und sich in ein neues Verhältnis zur Vernunft setzen. Im Bereich der Lehre ging es um die Wahrheit in der Frage, ob Gott sein unbegreifliches Wesen geoffenbart habe oder ob er ein Produkt […]

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Kritik des naiven Optimismus

Nathans Erziehungsauftrag Mehr als zwanzig Jahre vor dem Erscheinen des „Nathan“ (1779) bebte in Lissabon die Erde. In der Nacht vom 1. November 1755 kamen 30.000, nach manchen Zählungen 60.000 Menschen ums Leben. Voltaire knüpfte an seinen Eindruck von der „Mutter aller Katastrophen“ den Gedanken, dass naiver Optimismus nicht mehr zulässig sei. Betrogene Philosophen – schreibt Voltaire in seinem „Poème sur le désastre de Lisbonne“ – die riefen: Alles ist gut! („Tout est bien“). Der Glaube an Gottes Gesetz und Vorsehung wurde einer kritischen Prüfung unterzogen. Lessing schloss sich Voltaire an: Auch für ihn hatte infolge der Debatten über […]

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Nathan – Stuntman für die Vernunft

Nathan und Hiob Wie es sich im allerersten Auftritt bereits zeigt, hat Nathan einen Vorläufer in Hiob. Lessings Idee zu dieser Figur lässt sich aber nicht nur auf Hiob zurückführen – dessen Unglück, dessen Klage über die Ungerechtigkeit Gottes fast bis zu der Erschaffung der Welt zurückreicht –, sondern auch auf Shylock, den jüdischen Kaufmann von Venedig, die von Shakespeare erfundene Figur. Jede Analyse dieses Zusammenhangs führt aber auch zu dem Ergebnis, dass Nathan beispielsweise anders leidet als Hiob. Hiob ist der Stuntman für das Religiöse. Ihm muss Gott Rede und Antwort stehen, als jener rechtschaffene und untadelige Mann […]

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