Der Glauben als Bogen

Lessings aufgeklärtes Religionsverständnis Gotthold Ephraim Lessing hat dem konfessionellen Zeitalter sein einheitliches Menschenbild entgegengesetzt. Es ist überkonfessionell, individualistisch und subjektivistisch gemeint, geleitet von der Überzeugung, jeder Mensch sollte selbst entscheiden können, welche Religion ihm passend erscheint. Die mit diesem Menschenbild verbundene Religionskritik ist nicht vordergründig – im Gegenteil, Konfession und vom konfessionellen Staat gelenkte Glaubenspraxis werden als bloße Äußerlichkeiten („Zierraten“) betrachtet, die vom inneren Raum individueller Glaubensüberzeugung getrennt werden müssen. Das verdeutlicht die folgende Fabel: Der Besitzer des Bogens Ein Mann hatte einen trefflichen Bogen von Ebenholz, mit dem er sehr weit und sehr sicher schoss, und den er […]

Weiterlesen

(Kirchen-)Politik und wissenschaftliche Expertise

Bertolt Brecht: Leben des Galilei Es könnte dein Misstrauen gegenüber der Kirche verstärken, wüsstest du, wie widersprüchlich sie in der Sache Galileo Galilei vorgegangen ist. Es ist nicht so, dass die Kirche den Astronomen rundweg abgelehnt habe. Der rühmte sich, zahlreiche Gönner in der Kirche zu besitzen, unter ihnen sogar Kardinal Maffeo Barberini, den späteren Papst Urban VIII. Das Haupt der Kirche hatte, 1611, als Kardinal den Forscher als einen frommen und tugendhaften Mann von hohem Wert bezeichnet. Ein Gedicht hatte er auf dessen revolutionäre Entdeckungen am Himmel verfasst. Es trug den Titel „Adulatio perniciosa“ (Ungestüme Verehrung). Aber die […]

Weiterlesen

Ein Grundmodell des epischen Theaters

Brecht war entschlossen, das, was er sich für die Bühne vorstellte, auch praktisch umzusetzen. Warum nicht auch auf der Straße? Was es bedeutet, Straßentheater zu spielen, ist dir vielleicht bekannt, von einem Festival, aus einer belebten Fußgängerzone. Das Straßentheater, das auf bühnentechnische Hilfsmittel verzichtet, könnte an jeder x-beliebigen Straßenecke spielen. Das Straßentheater versteht sich nicht als Nachahmung des großen Theaters. Wir könnten sagen: Es versteht sich aus einem Verhältnis zur Sprache, Gebärde und Geste. Brecht möchte – so ist es seinen theoretischen Überlegungen zum Theater zu entnehmen – vor allem das Erzählerische im theatralischen Vorgang wirksam werden lassen. Im […]

Weiterlesen

Galilei im Karneval

Das zehnte Bild aus Brechts Schauspiel „Leben des Galilei“ Der Mensch ist nicht das Thema des epischen Theaters. Sicher ist häufig vom Menschen die Rede in Brechts Theaterstücken. Es gibt berühmte und gute Menschen im Werkverzeichnis des Dichters zu finden: Antigone, Galilei, die heilige Johanna usw. – sollte es Brecht, unter dem Deckmantel der Biografie, nicht um den Menschen gegangen sein? In allen Gestalten spiegelt sich jedoch nur, was der Dichter als sein primäres Thema betrachtet. Der Mensch ist dabei nur die Fundstelle, der Ort, an dem das Thema sich erschließt. Brechts Interesse gilt gesellschaftlichen Fragen, kurz: der Frage, […]

Weiterlesen

Lessing und Reimarus

Die Widersacher der Aufklärung brachten all dies als Vorwürfe vor, was der Religion gefährlich werden konnte: die Freiheit der Rede in Wort und Schrift, die Freiheit des Bekenntnisses, der weltanschaulichen Idee, das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, der methodische Zweifel. „Der Mensch [sollte]“, schrieb Hegel später im Rückblick auf dieses Zeitalter, „der Mensch [sollte] sich auf den Kopf, das ist auf den Gedanken stell[en] und die Wirklichkeit nach diesem erbau[en]. Es war dieses somit ein herrlicher Sonnenaufgang.“ Dieser Sonnenaufgang war manchen deutschen Landesfürsten allerdings ein Gräuel, hatten sie doch die durch die langen Kriege des 17. Jahrhunderts […]

Weiterlesen

Nathan als homo compensator

Nathan hat einen Vorläufer in Hiob, dessen Leiden Thema der biblischen Überlieferung ist. Was diesem an Schmerz zugefügt worden ist, wird in den ersten Kapiteln des Buches Hiob mitgeteilt. Darauf greift Lessing zurück. Der fromme Mann als Spiegel, in dessen Rahmen sich das Leid in unsäglicher Gestalt darstellt, artikuliert auf ergreifende Weise das Unbehagen an einer vermeintlich für ihn vorherbestimmten Wirklichkeit. Nicht genug, dass der fromme Mann all sein Vieh einbüßt, auch die Knechte kommen um, „mit der Schärfe des Schwerts“, Hiobs Söhne und Töchter werden bei einem Wirbelsturm erschlagen. Gott wird fürs Erste nicht entschuldigt. Die Hiobfrage steht […]

Weiterlesen

Schauspieler verkörpern Sprechakte

Anmerkungen zu Brechts „Leben des Galilei“ Dass der Deutschunterricht den Schauspieler thematisiert, ist ungewöhnlich. Ungewöhnlicher ist, dass er so wenig berücksichtigt wird. Nirgendwo sonst ist so von der Nachahmung die Rede, und die Nachahmung spielt in der Schule eine große Rolle. Die Schauspieler sind vor allem Träger der Handlung, was an den englischen Ausdrücken „actress“, „actor“ deutlich wird. Sie müssen nicht Menschen nachahmen. Sie könnten auch Tiere nachahmen. Selbst im Tier auf der Bühne begegneten uns dann nachgestellte Handlungen, in sich reflektierte Handlungseinheiten, die die verkörpernde Person im Tierkostüm überdeckten. Diese in sich reflektierten Handlungseinheiten werden von den Schauspielern […]

Weiterlesen