Mein oft bestürmtes Schiff –

Nicht alle Reisenden gleichen einander – oder: Wie ist eine „einfache“ Interpretation möglich, die auf den allegorischen Sinn Rücksicht nimmt? Karl Philipp Moritz hat gesagt, dass es für ein Kunstwerk von Bedeutung sei, ob es einfach ist: „[A]ufzählen, [das ist] eine Beleidigung des Kunstwerks […], dessen ganze Hoheit in seiner Einfachheit besteht.“ Gleiches gilt meiner Ansicht nach für dessen Interpretation. Auch die Interpretation hat zu fragen, welcher einfache Gedanke dem Kunstwerk zugrunde liegt. Ein einfacher Gedanke des allegorischen Zeitalters beispielsweise – denn ein Sonett des Barockdichters Andreas Gryphius soll im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen stehen – ist ein historisch […]

Weiterlesen

Fremd bin ich eingezogen

Christoph W. Bauers Sonett „fremd bin ich eingezogen unter meine Haut“ Die Innenperspektive, die Expedition ins Ich, kann der perspektivischen Verzerrung wegen zum erhofften Glück nicht führen. Die Außenperspektive, indem sie das Ich als Ganzes wahrnehmen lässt, verschafft nicht das Glück des Erlebens. Die Selbsterforschung, wie es im folgenden Gedicht angedeutet wird, bleibt daher fragwürdig. Nicht von ungefähr behält das lyrische Ich den Ausgang im Blick, hinter dem ein neues Glücksversprechen, eine mögliche Heimat liegen könnte. Die Vorlage aus Wilhelm Müllers 1823 erschienenen Gedichtzyklus „Winterreise“, von Franz Schubert einfühlsam mit abwärts führender Melodiestimme vertont, wurde als Muster der melancholischen […]

Weiterlesen

Einladung zur Reise

Meine schwester mein kind! Denk dir wie lind Wär es dorthin zu entweichen! Liebend nur sehn · Liebend vergehn In ländern die dir gleichen! Der sonnen feucht Verhülltes geleucht Die mir so rätselhaft scheinen Wie selber du bist Wie dein auge voll list Das glitzert mitten im weinen. Dort wo alles friedlich lacht – Lust und heiterkeit und pracht. Die möbel geziert Durch die jahre poliert Ständen in deinem zimmer Und blumen zart Von seltenster art In ambraduft und flimmer. Die decken weit Die spiegel breit In Ostens prunkgemache Sie redeten dir Geheimnisvoll hier Die süsse heimatsprache. Dort wo […]

Weiterlesen

Die feinere Kunst des Reisens

Paul Gerhardts „Abendlied“ Wer erinnert sich nicht an Paul Gerhardts „Abendlied“ mit dem Eindruck, dass darin von dem innigen Einvernehmen zwischen Himmel und Erde die Rede sei? In schlichten Worten wird der Blick in den Kosmos eröffnet: „Der Tag ist nun vergangen, / Die güldnen Sterne prangen / Am blauen Himmelssaal“. Keine Grenze scheint dem Auge des Betrachters gesetzt, wenn es in den Nachthimmel blickt. Paul Gerhardts „Abendlied“, im vorletzten Jahr des Dreißigjährigen Krieges erschienen, ist aber auch als Mahnung zu verstehen: Denn auch die Verlassenheit der Welt vom Leben zeigt sich am Abend. Paul Gerhardt: Abendlied (1647)                                                                  […]

Weiterlesen

Die große Klage

Der Dreißigjährige Krieg im Spiegel barocker Gedichte Der Barock hat sich diese beiden Worte zu eigen gemacht: „Angst“ und „Tränen“. Einer der bekanntesten Texte des Dichters Andreas Gryphius’ trägt den Titel „Tränen des Vaterlandes“, als könnte er dieses Wort nicht oft genug wiederholen. Der Dichter nimmt sich selbst dabei nicht aus: Es geht nicht darum, aus der Perspektive eines abgeklärten Philosophen vielleicht, das Leid der Anderen zu betrachten, das er selbst abgeworfen hat. Es geht darum, zu klagen und zu leiden angesichts der großen Verwüstungen, des „Tobens der Feinde“, bei dem auch die Seele Schaden nimmt. Den Hintergrund bildet […]

Weiterlesen