Aus der Fülle des Herzens schreiben

Der radikale Wandel des Sprachverständnisses in Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ Goethe, der Ordnung liebte, hat die Konsequenzen gefürchtet, die sich aus dem Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ ergaben. Die Kritik mancher Rezensenten entzog der ersten Fassung (1774) quasi den Boden. Der Dichter wurde mit einer Reihe von Verbotsanträgen konfrontiert; Stimmen wurden laut, die der Ironie des Textes nicht gewachsen schienen oder sich aus Sorge um den Nachahmungseffekt über sie hinwegsetzten – wie die folgende: „Es wird hier ein Buch verkauft, welches den Titel führt Leiden des jungen Werthers. Diese Schrift ist eine Empfehlung des Selbst […]

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Mein oft bestürmtes Schiff –

Nicht alle Reisenden gleichen einander – oder: Wie ist eine „einfache“ Interpretation möglich, die auf den allegorischen Sinn Rücksicht nimmt? Karl Philipp Moritz hat gesagt, dass es für ein Kunstwerk von Bedeutung sei, ob es einfach ist: „[A]ufzählen, [das ist] eine Beleidigung des Kunstwerks […], dessen ganze Hoheit in seiner Einfachheit besteht.“ Gleiches gilt meiner Ansicht nach für dessen Interpretation. Auch die Interpretation hat zu fragen, welcher einfache Gedanke dem Kunstwerk zugrunde liegt. Ein einfacher Gedanke des allegorischen Zeitalters beispielsweise – denn ein Sonett des Barockdichters Andreas Gryphius soll im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen stehen – ist ein historisch […]

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Die allegorische Darstellung der Welt: Schifffahrt mit Zuschauer

Der barocke Allegoriegebrauch Auch wenn man, wie Walter Benjamin, sagt, in großer Klage habe der Barock seinen beredten Ausdruck gefunden und in der leidenden Kreatur seinen Spiegel, „in dessen Rahmen allein die moralische Welt des Barock sich vor Augen stellt“ (Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels, hrsg. von Rolf Tiedemann. Suhrkamp Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main 1978, S. 72), muss man diese Epoche auch unter dem Aspekt ihres Erziehungsanspruches betrachten. Denn dass das unausweichliche Leid der Welt den deutschen Dichtern aus erzieherischen Gründen zum Thema werden konnte, muss dabei zur Sprache kommen. Erziehung mit Mitteln der Allegorie und Rhetorik […]

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Die modernen Dichter

Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung Homer erzählte von den verderblichen Listen des Odysseus, mit denen er selbst die Götter vor große Rätsel stellte. Den Mann nenne mir, Muse, den vielgewandten, der viel umgetrieben wurde, nachdem er Trojas heilige Stadt zerstörte. Homer: Die Odyssee. Deutsch von Wolfgang Schadewaldt. Seit Homer ist das Erzählen sagenhaft, aber auch menschlich geworden. Es ist menschlich, da es sowohl dem Dichter als auch Odysseus gelingt, beispielsweise durch die Berichte des Helden im Kreise der Phäaken, den bedrohlichen Abstand zwischen subjektiver und objektiver Welt zu verringern. Odysseus weiß der Überlegenheit der Götter trotz aller […]

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Die Wahrheit ist dem Dichter zumutbar

Probleme zeitgenössischer Dichtung Von Ingeborg Bachmann stammt der Satz, dass eine neue Sprache eine neue Gangart brauche. In ihrer Frankfurter Poetik-Vorlesung vom 25. November 1959 geht es ihr hierbei vor allem um die Dichter und ihre Werke. Gerade die Dichter empfänden nämlich schmerzlich die Grenzen, die der Ausdrucksfähigkeit auferlegt sind. Zuweilen zögen die Dichter sich sogar in das Schweigen zurück. In ihrem Vortrag bezieht die Autorin sich ausdrücklich auf Hugo von Hofmannsthals berühmten „Brief“, der 1902 erschienen ist und Epoche gemacht hat. Wer sich mit diesem Brief beschäftigt, der weiß, dass dessen fiktiver Absender letztlich daran gescheitert ist, eine […]

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