Christoph W. Bauers Sonett „fremd bin ich eingezogen unter meine Haut“
Die Innenperspektive, die Expedition ins Ich, kann der perspektivischen Verzerrung wegen zum erhofften Glück nicht führen. Die Außenperspektive, indem sie das Ich als Ganzes wahrnehmen lässt, verschafft nicht das Glück des Erlebens. Die Selbsterforschung, wie es im folgenden Gedicht angedeutet wird, bleibt daher fragwürdig. Nicht von ungefähr behält das lyrische Ich den Ausgang im Blick, hinter dem ein neues Glücksversprechen, eine mögliche Heimat liegen könnte. Die Vorlage aus Wilhelm Müllers 1823 erschienenen Gedichtzyklus „Winterreise“, von Franz Schubert einfühlsam mit abwärts führender Melodiestimme vertont, wurde als Muster der melancholischen Reise gedeutet. Was unterscheidet Christoph W. Bauers 2009 veröffentlichtes Sonett „fremd bin ich eingezogen unter meine Haut“ von dem um fast zweihundert Jahre älteren Gedicht? In beiden Fällen handelt es sich um epochentypische Gedichte. Für das jüngere gilt: Man müsste, um das Ich zu verstehen, dieses Ich sein, anstatt es wie im Spiegel reflexhaft und sehnsüchtig zu betrachten.
fremd bin ich eingezogen unter meine haut so lässt sich das am anschaulichsten sagen im spiegel das visavis es bleibt unvertraut besser so als anders kein grund, zu klagen das hirn vollgepumpt mit sehnsuchtsdrogen mit chimären die den winter pulverisieren der blick hat sich den raum zurechtgebogen um die tür nicht aus den augen zu verlieren sitze ich in mir mit dem rücken zur wand tu so als hätte es sich zwangsläufig ergeben die koffer griffbereit den pass in der hand wie ein schlafgänger im körpereigenen haus keine ahnung wer mich treibt so zu leben ich weiß nur eins fremd zieh ich wieder aus
Lyrik – line: listen to the poet
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