Kafkaeske Ironie
Längst hat die Kafka-Forschung erkannt, dass Kafka durchaus witzig zu schreiben versteht. Kafkas Witz beruht gewöhnlich auf kühler Ironie. Was Kafkas Figuren sagen, klingt also verdächtig. Das Gesagte entspringt nicht der Wahrheit.
Kleine Fabel
„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du mußt nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.
Der kluge Leser achte daher auf die Worte der Katze, welche nur auf den ersten Blick so mitfühlend klingen! Kann es sein, dass die Katze sich in die Lage der verzweifelten Maus hineinversetzen will? Zitiert jene nicht vielmehr höhnisch, die Maus verspottend, deren heimliche Gedanken? ([Ich muss] nur die Laufrichtung ändern.) Und was das Rätsel betrifft, an welchem Ort die Katze sich befindet, innerhalb oder außerhalb der Mauern, in dieser oder in jener Laufrichtung – wird die Katze denn nicht von ihrem hilflosen Opfer angezogen und ist daher überall zu finden?
Damit sind im Kontext des vorliegenden Textes folgende Ironiesignale von Bedeutung: das ironische Zitat und die Inversion des Raumes. In Kafkas Erzählungen wird übrigens oft von dem Raum so gesprochen, als ob von seinem Gegenteil die Rede wäre. Der Raum wirkt zuweilen beengt, ist schmaler als erwartet, verläuft sich – gibt nicht Raum, sondern nimmt Raum.