Keine Heimat!

Joseph Roths Roman „Hiob“

Joseph Roths unter dem Titel „Juden auf Wanderschaft“ herausgegebenen Reportagen (1927) beschwören die Straßen, Plätze, Personen und Wohnungen Galiziens herauf. Zweifellos ist Joseph Roth als Reporter auf der Suche nach der verlorenen Erde seiner Kindheit. Man glaubt darum zu verstehen, dass der Romanschriftsteller Roth Ähnliches unternimmt. Der Roman „Hiob“ (1930) jedenfalls scheint verwandte Themen, zum Beispiel Armut, Heimat und Heimatverlust zu behandeln. Vielleicht wäre der Roman ohne die Recherchen Roths, die ihn zurück nach Galizien führen, nicht möglich gewesen. Trotzdem hat der Roman seinen eigenen Stellenwert. Denn mehr als die Reportagen ist er zum Kennzeichen einer Epoche geworden, in der insbesondere der Heimatverlust zum Problem geworden ist.

Der Roman lässt seinen Helden einsam werden.

Schon war er einsam, Mendel Singer: schon war er in Amerika …“ (Joseph Roth: Hiob. Roman eines einfachen Mannes. Schöningh Verlag: Paderborn 2012, S. 88).

Man weiß doch, wie solche Geschichten beginnen. Zunächst beanspruchen die Väter alle Macht – so auch Mendel Singer, als er noch im galizischen Schtetl lebt. Wie ein biblischer Patriarch ist er mit den Tefillin (Gebetsriemen) geschmückt und macht auf diese Weise deutlich, dass seine Autorität, zumindest die Autorität JHWHs, des einzigen Gottes, in seinem Hause anerkannt werden soll. Er singt mit dem Jüngsten, rezitiert aus der Bibel und hofft auf Gehör. Nach außen ist das Judentum, wie seit Jahrtausenden üblich, patriarchalisch organisiert. Charakteristisch ist die Szene, in der Mendel Singer es ablehnt, Menuchim, den an Epilepsie leidenden jüngsten Sohn der Singers, im russischen Krankenhaus behandeln zu lassen.

Wie ein Held hielt Mendel seinen dürren weißen Arm zum Impfen hin. Menuchim aber gab er nicht fort. Er beschloß, Gottes Hilfe für seinen Jüngsten zu erflehen und zweimal in der Woche zu fasten, Montag und Donnerstag. Deborah nahm sich vor, auf den Friedhof zu pilgern und die Gebeine der Ahnen anzurufen, um ihre Fürsprach beim Allmächtigen. Also würde Menuchim gesund werden und kein Epileptiker. (ebd., S. 10).

Man weiß aber auch, wie solche Geschichten enden. Der Vater hat die Macht des Gebets überschätzt. Das Gebet ist aus dem Leben der Familie verschwunden. Die Familie ist in allgemeiner Auflösung begriffen, die Heimat scheint verloren. Kurz: für Mendel Singer wird das Leben immer schwerer, indem es an Sinn verliert.

Arbeitsanregungen:

  • Inszenieren Sie die Gründe für die Auflösung der Familie Singer anhand einer „Familienaufstellung“. Verteilen Sie sich im Raum und besetzen Sie die Rollen in der Familie Singer mit Leuten aus ihrer Klasse.
  • Spielen Sie typische Situationen aus dem Leben dieser Familie nach. Achten Sie dabei darauf, dass die Beziehungen der Figuren zum Ausdruck kommen.