Noch einen Moment. Bald ist es so weit!

Wahlagitator

Erich Kästner: Jahrgang 1899


Interpretation

Einleitende Bemerkungen:

Kästners Gedicht handelt von den Erfahrungen der Vertreter des Jahrgangs 1899, genauer: von den Erfahrungen der Männer, die in der Weimarer Republik beruflich gesehen Aufsteiger oder Absteiger waren und nebenbei Adolf Hitlers Aufstieg ermöglicht haben. Die in der Form einer sozialkritischen Ballade verfasste Gesellschaftssatire erweist sich am Ende als Mahnung. Aus der Generation in der Krise kann nichts Gutes hervorgehen. Das Gedicht von Erich Kästner ist im Jahr 1928 erschienen.

Bemerkungen zum Inhalt:

  1. Die ersten drei Strophen handeln von den Jugendjahren der aus dem Jahr 1899 stammenden Generation. Die in der letzten Phase des Ersten Weltkriegs als Kanonenfutter dienenden jungen Männer haben, wenn überhaupt, nur mit Glück überlebt.
  2. Die nächsten drei Strophen geben Aufschluss über das Studium und das Berufsleben. In den Nachkriegsjahren gerät die Generation von 1899 sozial und wirtschaftlich gesehen unter Druck. Viele Väter haben ihr Vermögen verloren, während die Söhne danach streben, zu Geld zu kommen. In der Nacht wird studiert, am Tage arbeiten die jungen Männer als Büroangestellte.
  3. Die letzten drei Strophen bieten das Resümee: Kritisch registriert der Sprecher, wie die Männer des Jahrgangs 1899 aufgewachsen sind.


Bemerkungen zur Form:

Der Text zeichnet sich durch acht vierzeilige Balladenstrophen aus. Die letzte Strophe enthält einen überzähligen Vers. Der vierte Vers („Noch einen Moment. Bald ist es so weit!“) kann als Wiederholung des vorhergehenden aufgefasst werden. Das Ziel besteht in der Steigerung der Aussage beider Verse. 

Rhythmisch ist jede Strophe für sich gesehen frei gestaltet, metrisch jedoch sind die Verse fest gefügt. Vierhebige Zeilen (1., 3. Vers) wechseln einander mit dreihebigen Zeilen ab. Das Metrum wird höchst unterschiedlich sowohl von Jamben als auch von Anapästen bestimmt. Wer ein empfindliches Ohr hat, erkennt, dass Kästner dieses Gedicht in einem betont lockeren Sprechstil (Parlando) verfasst hat.


Arbeitsanregungen:

  • Interpretieren Sie das Gedicht.
  • Beantworten Sie die Frage, ob das Gedicht als Satire anzusehen ist. Beziehen Sie sich dabei auf folgenden Bemerkungen über die Satire.

Friedrich Schiller:
In der Satire wird die Wirklichkeit als Mangel dem Ideal als der höchsten Realität gegenüber gestellt. Es ist übrigens gar nicht nötig, dass das Letztere ausgesprochen werde, wenn der Dichter es nur im Gemüt zu erwecken weiß; dies muss er aber schlechterdings, oder er wird gar nicht poetisch wirken. Die Wirklichkeit ist also hier ein notwendiges Objekt der Abneigung; aber, worauf hier alles ankommt, diese Abneigung selbst muss wieder notwendig aus dem entgegenstehenden Ideal entspringen.

Erich Kästner:
Der satirische Schriftsteller ist, wie gesagt, nur in den Mitteln eine Art Künstler. Hinsichtlich des Zwecks, den er verfolgt, ist er etwas ganz anderes. Er stellt die Dummheit, die Bosheit, die Trägheit und verwandte Eigenschaften an den Pranger. Er hält den Menschen einen Spiegel, meist einen Zerrspiegel, vor, um sie durch Anschauung zur Einsicht zu bringen. Er begreift schwer, dass man sich über ihn ärgert. Er will ja doch, dass man sich über sich ärgert! Er will, dass man sich schämt. Dass man gescheiter wird. Vernünftiger. Denn er glaubt, zumindest in seinen glücklicheren Stunden, Sokrates und alle folgenden Moralisten und Aufklärer könnten recht behalten: dass nämlich der Mensch durch Einsicht zu bessern sei.