Von den Grenzen der Empfindung
Kabale und Liebe, I, 4
EINLEITUNG
Sie orientieren den Leser über den gesamten vorliegenden Text.
Es liegt in der Absicht des bürgerlichen Trauerspiels „Kabale und Liebe“, die mit der Liebe verbundene Lebenslüge aufzuzeigen. Die Lebenslüge besteht in der Tabuisierung des zeitbedingten Konflikts, des Konflikts zwischen Adels- und Bürgerstand. Der Adelsspross Ferdinand von Walter meint, seine Liebe zu der Bürgerstochter Luise Miller hebe die Ständeschranken auf. Darum möchte er Luise für sich gewinnen und zur Ehefrau machen. Es liegt auf der Hand, wie unmöglich, ja bizarr solch eine Verbindung den Zeitgenossen erscheinen musste. Das Trauerspiel ist 1784 erschienen und zählt zum Frühwerk Friedrich von Schillers. „Kabale und Liebe“ ist damit ein Drama aus der Epoche des Sturm und Drang. Das Drama des Sturm und Drang ist meist melodramatisch gestaltet, d.h. es enthält Elemente der Rührung, der Melancholie und des schrecklichen Leidens.
HAUPTTEIL
Sie betten die Szene kurz in den Kontext ein.
In der vorliegenden Szene begegnen sich Ferdinand und Luise, nachdem Luise mit ihrem Vater über ihre Liebe zu Ferdinand gesprochen hat. Die Sechszehnjährige hat sich die Ermahnungen ihres Vaters zu Herzen genommen und zugleich ihre gemeinsame Zeit mit Ferdinand reflektiert. Sie erkennt, dass diese Liebe sie mehr als alles andere glücklich gemacht hat. Sie ist durch diese Liebe mit einer völlig neuen Welt bekannt gemacht worden. Sie sieht aber auch, dass sie mit dieser Welt nicht vertraut werden kann, dass sie wie ein Abgrund für sie ist, dass sie von Ferdinand nur träumen, aber nicht mit ihm leben kann.
Und sie beschreiben den Inhalt der Szene.
Ferdinand bemerkt Luises Veränderung und stellt sie zur Rede.
[Noch zu ergänzen!]
Sie informieren über Ihr Vorgehen bzw. die Analyseaspekte.
Bei der Analyse der Szene werde ich mich vor allem auf kommunikative Aspekte beziehen. Mich interessiert, warum das Gespräch zwischen den Liebenden scheitert.
Sie untersuchen die Szene unter den zuvor genannten Gesichtspunkten. TIPP: Sie eröffnen die Untersuchung mit einer Deutungshypothese.
Von Beginn an ist deutlich, dass der zeitbedingte Konflikt zwischen Adels-und Bürgerstand sich auch auf die Beziehung zwischen Ferdinand und Luise auswirkt. Auf Ferdinand fällt dabei kein helles Licht. Er scheint unter besonders großem Druck zu stehen. Nie zeigt er sich versöhnlich. Nie trifft er den richtigen Ton. In der gesamten Szene zeigt er sich nicht dazu imstande, mit Luise in der angemessenen Form zu kommunizieren.
Nie findet Ferdinand die richtigen Worte der Liebe. Durchweg wird Luise mit Vorwürfen überhäuft (10,30–31: „Ich fliege nur her, will sehn, ob du heiter bist, und gehn und es auch sein – du bist’s nicht“; 10,33: „Rede mir Wahrheit. Du bist’s nicht“; 11,11–13: „Du bist meine Luise! Wer sagt dir, dass du noch etwas sein solltest? Siehst du, Falsche, auf welchem Kaltsinn ich dir begeben muss“; 11,38–39: „Ich fürchte nichts – nichts – als die Grenzen deiner Liebe“). Stets fürchtet Ferdinand, dass Luise ihn verrät, dass ihre Liebe nur „Grimasse“ ist, wie er an anderer Stelle sagen wird (4. Akt, 2. Szene, 59,4). Ferdinands ursprüngliches Gesprächsziel schlägt damit in das Gegenteil um. Hatte er zunächst den Vorsatz, in Luises Gegenwart „heiter“ (vgl. 10,31) zu sein, mit anderen Worten: glücklich zu sein, so setzt er nun dieses Glück aufs Spiel, indem er Luise ungerechtfertigte Vorwürfe macht.
Ferdinand beansprucht die meisten Redeanteile. Und seine maßlose Selbstüberschätzung ist in allen seinen Redebeiträgen erkennbar. Luise, heißt es, habe keinen „Engel“, sprich: keinen weiteren Schutz durch die Religion mehr nötig (12,2–3: „Mir vertraue dich. Du brauchst keinen Engel mehr“).
Die Analyse mithilfe des Kommunikationsmodells von Schulz von Thun ergibt folgende Selbstkundgabe: Ferdinand: Ich bin ein leidenschaftlicher und eifersüchtiger Liebhaber, Luise! (vgl. 11,15–17: „Wenn ich bei dir bin, zerschmilzt meine Vernunft in einen Blick – in einen Traum von dir, wenn ich weg bin“). Ferdinands Appelle aber könnten so verstanden werden: Liebe mich ebenso! Vertraue mir! (vgl. 12,2). Der aufmerksame Leser bemerkt vielleicht, dass Ferdinands leidenschaftliche Appelle sich selbst widersprechen, denn eigentlich kann niemand dazu aufgefordert werden, zu lieben, geschweige denn, es leidenschaftlich zu tun.
[Noch zu ergänzen!]
Sie untermauern Ihre Ergebnisse durch Beobachtungen zur sprachlichen Gestaltung.
Luise selbst kommt auf die Kommunikationsprobleme zu sprechen (vgl. 11,7–9: „Ferdinand! Ferdinand! Dass du doch wüsstest, wie schön in dieser Sprache das bürgerliche Mädchen sich ausnimmt –“). Ihr ist nämlich durchaus bewusst, dass die Standesunterschiede sich auch an der Sprache zeigen. Ferdinand von Walters Sprache atmet den Geist des Hofes: Sie ist galant, metaphernreich, rhetorisch, übersteigert (10,33–11,1: „Ich schaue durch deine Seele wie durch das klare Wasser dieses Brillanten“; 11,30–33: „Lass doch sehen, ob mein Adelbrief älter ist, als der Riss zum unendlichen Weltall? oder mein Wappen gültiger als die Handschrift des Himmels in Luisens Augen: Dieses Weib ist für diesen Mann?“ u.a.). Luises Sprache dagegen ist direkt. Sie ist frei von Pathos (11,37: „Oh, wie sehr fürcht ich ihn – diesen Vater!“ u.a.). Die Bürgerstochter bringt ihr Leid unmittelbar zum Ausdruck.
[Noch zu ergänzen!]
SCHLUSS
Sie fassen Ihre Ergebnisse zusammen.
Sie beschreiben die Folgen des Dialogs für die weitere Handlung.
Die Beziehung zwischen Ferdinand und Luise ist – für das 18. Jahrhundert gesprochen – eindeutig eine verbotene Liebe. Luise ist sich dessen bewusst, Ferdinand jedoch nicht. Die Analyse hat gezeigt, dass er sich in maßloser Selbstüberschätzung über die bestehenden Normen hinwegsetzt. Die Diskrepanzen zwischen den Liebenden kommen bereits in dieser Szene zum Vorschein. Ferdinand verliert den Kontakt mit der Wirklichkeit. Aufgrund dessen wird sich der Abstand zwischen den Liebenden in den folgenden Szenen vergrößern.