Franz Kafka: Der Proceß
Was Josef K., der Held des Romans „Der Proceß“ von Franz Kafka, erlebt, wächst aus dem Alltag heraus, ist aber mit dem Alltag eng verbunden. Stets ist Josef K. im Büro zu finden, in dem vorliegenden Kapitel zum Beispiel, dem Prügler-Kapitel, verlässt er abends als einer der Letzten das Bürogebäude. Der Leser erfährt dabei, dass der Büroalltag Erfahrungen hervorbringt, die sich dem Glauben an die Fortschritte des Menschengeschlechts auf grausame Art widersetzen.
Entscheidendes hat sich in Josef K.s Leben ereignet. Er ist verhaftet worden, ohne in das Geheimnis der gegen ihn zu Recht oder Unrecht erhobenen Vorwürfe eingeweiht worden zu sein. Das Geheimnis seiner Verhaftung wird dadurch noch gesteigert, dass das Gericht sich jeder der üblichen Nachfragen entzieht. Josef K. – er ist Prokurist bei einer größeren Bank – gehört übrigens weiterhin dem Arbeitsalltag an. Es ist jedoch klar, dass die Verhaftung sich auf sein Verhalten in der Bank auswirkt. Latent bereits vorhandene Entfremdungstendenzen beschleunigen sich, dass Josef K., „erster Prokurist“ mit glänzenden Karrierechancen, sich immer weniger am richtigen Platze glaubt.
Die Frage nach den gegen ihn erhobenen Schuldvorwürfen beherrscht Josef K.s Denken seit seiner Verhaftung. Tatsächlich werden in der Prügler-Szene Angriffe gegen ihn laut. „[D]ie zwei [Wächter] riefen: ‚Herr! Wir sollen geprügelt werden, weil du [Josef K.] dich beim Untersuchungsrichter über uns beklagt hast‘“ (89). Doch dürften diese von den Wächtern vorgebrachten Angriffe nicht ausschlaggebend für seine Verhaftung gewesen sein, beziehen sie sich doch auf K.s Verhalten nach der Verhaftung: Erwartet der Leser nicht zu Recht, dass davon die Verhaftung selbst nicht abhängen dürfe?
Will man den Prozess richtig verstehen, so ist es wichtig, den Ausspruch des Wächters Willem festzuhalten, dass „das Gericht von der Schuld angezogen werde“ (41). Ob nun Josef K. sich in seiner Wohnung, in der Bank, in den Hinterhöfen und dunklen Gassen der Stadt, im Sitzungssaal, im Dom oder anderswo aufhält, das Gericht ist überall zu finden, weil auch die Schuld stets zu finden ist.
Arbeitsanregungen:
Im Prügler-Kapitel bildet eine Rumpelkammer die symbolische Kulisse der Handlung.
- Sammeln Sie alle Assoziationen zu „Rumpelkammer“.
- So wird die Rumpelkammer bei Kafka beschrieben – vergleichen Sie mit Ihren Assoziationen.
- Erfinden und beschreiben Sie Figuren, die Josef K. bei der Rumpelkammer überraschen: Wie wird K. ihnen gegenüber die Vorgänge in der Kammer erklären? Teilen Sie Gruppen ein, die diese Begegnungen spielen!
Lösungsansätze:
Im Prügler-Kapitel bildet eine Rumpelkammer die symbolische Kulisse der Handlung. Der Unterschied zum Büro tritt deutlich hervor. Das Büro zielt darauf ab, Ordnung zu ermöglichen, während die Rumpelkammer auf das Gegenteil verweist.
Warum eigentlich muss sich K. für die Verhältnisse in der Kammer rechtfertigen?
Weil er von der Scham überwältigt wird.
Was mag im Übrigen das Faszinierende an der Rumpelkammer sein, dass K. seine Neugier kaum bezwingen kann?
„[Ihn] faßte […] eine derart unbezähmbare Neugierde, daß er die Tür förmlich aufriß“ (89).
Die Rumpelkammer ist der Ort der Scham darüber, dass die Ordnung versagt. So bedarf es eigentlich keiner weiteren Erklärung dafür, warum K. die Rumpelkammer öffnet. Dass er dies tut, kann nichts anderes bedeuten, als dass er von den beschämenden Vorgängen in der Rumpelkammer angezogen wird.
Eine mögliche Antwort bieten auch Kafkas Quellen:
- Friedrich Nietzsche: Zur Genealogie der Moral (1887)
- Sigmund Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905).
Diese Quellen handeln von Scham, Schuld und Strafe.
- Weisen Sie die kulturanthropologische (Nietzsche) und die sexualpsychologische (Freud) Folie im Text der Prügler-Szene nach. Versuchen Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu beschreiben.