Eine Novelle nach dem Muster eines analytischen Dramas
Der sich zum melancholischen Rachegeist wandelnde Held in Hartmut Langes Novelle „Das Haus in der Dorotheenstraße“ heißt Gottfried Klausen, ist Wirtschaftsjournalist, viel unterwegs, mit einer Vorliebe für gut recherchierte, präzise Berichterstattung. Kurz vor dem Abschluss der Erzählung kommt es zu mehr oder weniger offenen Ausfällen gegen die Frau des Helden, die diesen offenbar jahrelang betrogen hat. Der Erzähler lässt durchblicken, dass er Rache in diesem Fall für gerechtfertigt hält. Die Heuchlerin müsse die Strafe dafür fürchten, ihren Mann hintergangen zu haben: „[W]er da lachte, der sollte sich nicht allzu sicher fühlen. Denn es war durchaus denkbar, dass irgendwann, nicht am Tage, sondern nachts, doch noch ein Auto vorfuhr und dass sich jemand auf den Eingang zubewegte“ (Das Haus in der Dorotheenstraße, 93). Vom Protagonisten kann der Erzähler dagegen sagen, dass er sich nach seiner Verwandlung für vulkanische Aschefelder interessiert – ein Mann der Fakten, der zum rastlosen Reisejournalisten geworden ist. Die Novellensammlung „Das Haus in der Dorotheenstraße“ ist im Jahr 2013 erschienen, der in der Titelnovelle erwähnte Ausbruch des isländischen Vulkans Grimsvötn, infolgedessen der Flugverkehr über den britischen Inseln eingestellt wird, datiert in das Jahr 2011.
Fast greifbar sind die in der Exposition gegebenen Widersprüche, die auch zum Schluss der Novelle nicht aufgelöst werden. Möglich wäre folgende Konstruktion: Das Ehepaar Gottfried und Xenia Clausen hat in der zum Berliner Stadtbezirk Steglitz-Zehlendorf gehörigen Ortslage Kohlhasenbrück eine an der Dorotheenstraße versteckt liegende Villa für einige Zeit gemietet und schließlich auch gekauft. Gesichert ist diese Annahme nicht. Es geht beispielsweise aus der Einleitung nicht klar hervor, zu welchem Zeitpunkt die Überlegung angestellt worden ist, das Haus in der Dorotheenstraße zu erwerben. An keiner Stelle der Novelle findet sich überdies ein Beweis dafür, dass der Erwerb des Hauses tatsächlich über die Bühne gegangen ist. Statt der endgültigen Formulierung einer Entscheidung findet sich die Formulierung einer vagen Überlegung: „Die beiden kannten sich aus der gemeinsamen Schulzeit, waren also, was ihre Eigenarten und Interessen betraf, über Jahre hinweg miteinander vertraut, und sie hatten mit dem Haus in der Dorotheenstraße etwas gefunden, das ihnen das Gefühl von Geborgenheit gab, so dass sie überlegten, ob es nicht vernünftig wäre, das Grundstück zu erwerben. Der Garten war verwildert, und die Fassaden hätte man erneuern müssen“ (ebd., 73–74). Mit der Möglichkeit der endgültigen Lösung der Hausfrage aber und – abgründiger – der Eifersuchtsfrage wird innerhalb des Erzählrahmens der Novelle durchaus gerechnet. „Put out the light!“ (ebd. 93) – die intertextuelle Bezugnahme auf Shakespeares Eifersuchtsdrama „Othello“ suggeriert, dass das Entsetzliche bereits geschehen ist, mit anderen Worten: der Mord an Xenia Klausen.
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