Zum Verhältnis von Sprache und Denken
Die Frage nach dem Problem des sprachlichen Determinismus setzt ein bei dem Verhältnis des Menschen zu seiner Sprache als der Kardinalfrage menschlicher Existenz. Wir sind geneigt, dieses Verhältnis unter den Aspekten einer hartnäckig sich haltenden Abbild- oder Widerspiegelungstheorie zu sehen. Danach bildet der menschliche Geist die Form der Gegenstände und Sachverhalte der Welt ab, die Sprache wiederum spiegelt die distinkten Ideen des Verstandes wider.
Mit Descartes’ Formel, dass die sprachlichen Ausdrücke Bilder des Verstandes („velut picturae“, Anm. 1) seien, ergibt sich der Zwang, dass das, was selbst Bedingung und Voraussetzung des Denkens ist, als Mittel der Erkenntnis betrachtet wird, welches vom Geist beherrscht wird. Diese merkwürdige Theorie, die der Sprache lediglich repräsentative Funktion zuweist, wird von Herder und Humboldt durch die synthetisch zu verstehenden, die Gegensätzlichkeit von Sprache und Denken verbindenden Begriffe „Besonnenheit“ und „Selbsttätigkeit des Geistes“ überwunden.
Es muss uns also weder die eine noch die andere Formel aufgezwungen werden, wonach
- die Sprache über das Denken verfüge
- oder das Denken über die Sprache.
Offenbar nötigt aber die so genannte Sapir-Whorf-Hypothese dazu, den ersten Gedanken als selbstverständlich anzunehmen:
Die Sprache beherrscht das Denken (Prinzip des sprachlichen Determinismus).
Anm. 1: Zitiert nach Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil: Die Sprache, hrsg. v. Birgit Recki, Text u. Anm. bearb. v. Claus Rosenkranz, Hamburg 2001, 37.
Dem Prinzip zu folgen, scheint heute zur Regel geworden zu sein, auch in der Debatte um politische Diskurse und das so genannte „Framing“. Mit der Formel, dass die Sprache das Denken bestimmt, ist nämlich einerseits die Vorstellung verbunden, dass das Denken der Welt der Sprache angehöre, zum Beispiel im Bereich der Farbwahrnehmungen, und dass andererseits mit der Sprache Macht ausgeübt werden könne.
Beginnen wir mit dem Denken, das eine vitale Funktion des Bewusstseins darstellt. Können wir deshalb kein Blau denken, weil uns das Farbwort „blau“ nicht zur Verfügung steht? Würden wir dann nicht dazu übergehen, einen anderen Ausdruck für die Farbempfindung zu finden? Verhält es sich nicht ähnlich, wenn uns der Name eines Gegenstandes, einer Person entfallen ist? Würden wir die Farbe nicht umschreiben? Eine Farbe wie der Himmel, wie das Meer, wie die Jeanshose da?
Das Problem des sprachlichen Determinismus lässt sich auch an der politischen Debatte überprüfen, in welcher der Diskurs, wie es heißt, das Denken bestimmt. Der Diskurs geht dabei weit über die Debatte hinaus, die einem überlieferten Topos zufolge den Kampfplatz der Rhetorik darstellt. Er erstreckt sich auf die Gesellschaft insgesamt, und zwar, wie Benjamin Mikfeld und Jan Turowski beispielsweise in ihrer Einführung zur 2014 veröffentlichten Denkschrift „Sprache. Macht. Denken“ in gewisser Verschwommenheit und Offenheit des Begriffs suggerieren, als „unsichtbare Macht“. Diskurse äußern sich in Institutionen, werden durch Praktiken „stabilisiert und reproduziert“ (Mikfeld/Turowski 2014: 23), bestimmen als „assoziative Netzwerke“, „kognitive Schemata“ oder „Frames“ (ebd. 21) das Denken. Können wir nicht Kernkraft denken, wenn „Atomenergie“ gesagt wird? Können wir deshalb nicht mehr Atomenergie denken, weil es nach einer Reaktorkatastrophe als nicht mehr „sagbar“ gilt (vgl. Mikfeld/Turowski 2014: 15)? Bleibt das große Feld des Denkens – der ideale Diskurs – damit nicht ausgeklammert? Haben wir uns damit nicht in ein gebrochenes Verhältnis zur Sprache begeben? So dass der Mensch in der politischen Daseinsform nur als Fragment einer „Diskurslandkarte“ (ebd. 42) vorstellbar ist, ohne je den Anspruch auf subjektiv Sagbares verwirklichen zu können.
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