Eine Laubsägearbeit

Gregor Samsa: Das vereinsamte Kind Gregor Samsa hat, so erfahren wir, die Gepflogenheit, sein Zimmer des Nachts abzuschließen. Er kenne dies von den Hotels her, die er als Reisender benutzt. Der Leser erkennt deutlich, dass dieses Eingesperrtsein aus Prinzip erfolgt, zum Schutz des völlig Übermüdeten vor überraschenden Eindringlingen. Nun, als die Familie und der Prokurist aufkreuzen, profitiert er von dieser Vorsichtsmaßnahme. Es ist ein kleines Zimmer. Wie ist die Laubsägearbeit auf dem Tisch zu denken, die einen „hübschen, vergoldeten Rahmen“ für das Bild der Dame im Pelz ergibt? Sie ähnelt eher dem Werk eines Kindes als dem eines Erwachsenen. […]

Weiterlesen

Kafka verständlich machen

„Der Proceß“ in psychologisierender Auslegung Das Altern der Texte hat zur Folge, dass Missverständnisse, Unklarheiten möglich sind. Unverständliches verständlich zu machen, darin liegt die Aufgabe der Interpretation – besonders schwierig erscheint die Aufgabe im Falle Kafkas. Neben die unzähligen Interpretationen des Romans „Der Proceß“ ist auch die psychologisierende Auslegung getreten. Sie legt dem Text insofern eine neue Bedeutung unter, indem sie psychologisches Wissen heranzieht, welches bei der Entstehung des Textes buchstäblich nicht vorhanden gewesen ist. Kafkas Text ist oberflächlich gesehen von Sigmund Freuds Gedanken bestimmt, wie Kafka selbst es stets betont hat; Einzelheiten aber und maßgebliche Begriffe, welche Freud […]

Weiterlesen

Die Maske der Schuld

Oder: Kompensation als Ausweg   Franz Kafka: Die Verwandlung Vielleicht ist die Verwandlung Gregor Samsas, seine Annäherung an ein Ungeziefer, dessen Unterleib ständig schmerzt, der Annäherung des Kindes an die masochistisch geprägte Sexualität proportional. Wir lernen die schuldbehaftete Sexualität besser verstehen, wenn wir Gregor Samsa besser verstehen lernen. Gregor Samsa kompensiert nicht, er nimmt alle Schuld auf sich. Die schuldbehaftete Sexualität Gregors ist eine Art von Minderwertigkeitsgefühl.  Gregor Samsa hat viel, für das er sich schämen könnte. Seine berufliche Stellung ist durchaus nicht gesichert. Mit welchem Recht bleibt er also länger im Bett liegen? Vielleicht ist Gregor ein Nachfahr […]

Weiterlesen

Morgen

Franz Kafka: Die Verwandlung Es war nur ein Traum, mag man erleichtert ausrufen. Ein Affe sein, bis über die Knie herunter reichende Arme haben, am Fluss spazieren gehen wie ein Geck, in einer neuen schwarzkarierten Hose. Wie schön, wenn alle Aufregung vorüber ist! Aber ein Ungeziefer sein im Augenblick des Erwachens, das erleiden zu müssen, das wird dir ständig den Atem nehmen!  

Weiterlesen

Drei Dichter

Drei Dichter beratschlagten darüber, was schlimmer sei: die Lüge, das Schweigen oder der grenzenlose Eigensinn. Hin und her gingen die Gespräche, dass der Wirt in der dunklen Ecke staunte. Da brachte einer die Rede auf den Eigensinn, man sah nur die eine Seite seines Gesichts, es war Kafka. Bald war klar, dass er dem Eigensinn besonderen Stellenwert in seinem Werk einräumte. Nichts weniger als ein nachahmender Affe, der Anthropologie zur Deutung, sei man doch, gäbe man seinen Eigensinn auf! © Gerold Paul

Weiterlesen

Der Einbruch der Lüge in die Weltordnung

Der Proceß: Im Dom Wenn Kafka die Umstände im Dom klarer hätte ausleuchten wollen, dann hätte er es getan. Doch es gibt das Tabu, die Wahrheit deutlich auszusprechen. So verliert sich der Leser vielleicht in dem beweglichen Heer der Lichtmetaphern. Der Leser ist sich nicht sicher, wie er das Gespräch zwischen dem Domkaplan und K. zu deuten hat. Die Forschung, vereinfacht gesprochen, nennt die Lichtmetaphorik allegorisch. Das bedeutet, dass dem Text ein weiterer, verborgener Sinn zu entnehmen ist. Arbeitsanregungen: Vergleichen Sie die unterschiedlichen Lichtdarstellungen (Altarkerzen, Ewiges Licht, Taschenlampe usw.) im Hinblick auf den Bildspenderbereich und den Bildempfänger. Welche Wirkung […]

Weiterlesen

Figuren des Wahnsinns

Wahnsinn und Vergessen als Kennzeichen der Moderne Von Orest wird berichtet, er sei mehrere Jahre häufig wiederkehrenden Depressionen verfallen gewesen. Die Krankheit war so ernst, dass man keinen Rat wusste und die Krankheit daher „Wahnsinn“ nannte. Dieser Wahnsinn, wie er in Goethes Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“ (1786) gespiegelt wird, ist wie ein Bote, der dem expressionistischen, an Friedrich Nietzsches Schriften geschulten Diskurs über den Wahnsinn um mehr als hundert Jahre vorauseilt. Der Diskurs über den Wahnsinn, der die Kritik an dem, was als „normal“ gilt, beinhaltet, ist letztlich Kulturkritik. Expressionismus ist aufs Äußerste getriebene Kulturkritik – und insofern Anfang […]

Weiterlesen