Die reine Menschenliebe?

Iphigenie und Thoas Erster Aufzug. Dritter Auftritt (V. 450–537) Goethes Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“, am 6. April 1779 im kleinen Kreis der Weimarer Hofgesellschaft uraufgeführt, gilt als klassisches Humanitätsdrama. Iphigenie verkörpert, was auszufüllen kein einzelner Mensch imstande ist: die „reine Menschlichkeit“, wie Goethe selbst, nicht ohne Selbstkritik, im Hinblick auf dieses Drama bemerkt. Humanität, d. h. „Menschlichkeit“ oder „Menschenfreundlichkeit“ ist, im Kontext von Goethes Drama, als Gegenbegriff zu Barbarei, Unbildung, aber auch Fremdbestimmung aufzufassen. Im Kontext der Weimarer Klassik findet der Begriff außerordentliche Beachtung. In der Humanität, so formuliert es Herder in Berufung auf Kant, bestehe die Glückseligkeit des […]

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Iphigenie: Stand der Dinge

Wäre die Figur der Iphigenie nicht wiederholt vor ein moralisches Dilemma gestellt, wäre die dramatische Wirkung des Schauspiels dahin! Es liegt in der Absicht des Autors, dass die Emotionen, Gedanken und Wünsche der Figur nicht auf eine Richtung festgelegt sind. Iphigenie muss anders als zum Beispiel Orest hin und her gerissen sein zwischen dieser und jener Richtung. Sie muss Dinge mit Widerwillen tun, ihre Handlungen müssen paradox erscheinen.

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Die Schuld des Ahnherrn

Iphigenie und der Tantalus-Mythos Die Frage nach der Schuld ihrer Familie führt Iphigenie zum Tantalus-Mythos. So erzählt sie dem Skythenkönig von Tantalus, ihrem Urahn, dem schwerreichen Mann, dem Liebling der Götter. Dieser hat die Olympier dadurch beleidigt, dass er ihnen seinen Sohn Pelops, ohne überhaupt darum gebeten worden zu sein, geopfert und zum Mal gereicht hat. Die Olympier, Zeus vor allem haben Tantalus daraufhin aufgegeben und in die Unterwelt verbannt. Er muss in die unterste Unterwelt, den Tartarus, hinab, um dort für immer Hunger und Durst zu leiden. Die Götter haben den übermütigen Tantalus aufgegeben – nicht so Iphigenie! […]

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Malum metaphysicum

Iphigenies Klage Seit der Zeit der Aufklärung wird die Metaphysik skeptisch betrachtet. Der Zweifel an ihr gründet sich auf der Leugnung ihrer Wissenschaftlichkeit. In der Tat steht ihr Anspruch, als „erste Philosophie“ die Wahrheit über das Sein zu beschreiben, wissenschaftlich gesehen auf schwachen Füßen. Nichtsdestoweniger spiegelt die Metaphysik das Bedürfnis wider, Antworten auf spezifisch menschliche Fragen zu formulieren. So mag sich jemand zum Beispiel fragen, was seine Stellung in der Welt sei. Er kann sich fragen, warum ihn das Leben mit Unbehagen erfüllt. Er mag sich angesichts der Weltgeschichte wundern, ob sie mehr sei als die ewige Wiederkehr des […]

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