Die Kurzgeschichte

Bei der Kurzgeschichte kommt es viel weniger darauf an, dass der Erzähler dem Leser ein Ereignis, als dass er ihm eine Situation darstellt. Die ersten, die diese Umänderung im Erzählen bemerkt haben, sind Erzähler der literarischen Moderne gewesen, Robert Musil zum Beispiel, Alfred Döblin, Ernst Toller und Kurt Tucholsky. Es beeinträchtigt diese Beobachtung nicht, dass die Kurzgeschichte im eigentlichen Sinn (Short Story) im englischsprachigen Raum entstanden ist. Entscheidend bleibt, dass die „Wahrheit der Erzählung“ nicht außerhalb des Erzählten gesucht wird. Kafkas Kurzgeschichten müssen als Parabeln verstanden werden und stellen daher eine Ausnahme von dieser Regel dar. Das Neuartige an […]

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Ein Brief an Francis Bacon

Die Pathologie der Ausdrucksformen Die Wirkung von Hofmannsthals Epoche machendem „Brief“ – am 18. und 19. Oktober 1902 in der Zeitschrift „Der Tag“ erschienen – beruht auf einem Paradox. Dieses führt die „geistige Krankheit“ des Absenders in selbstbewusst sich gebender Sprache vor. Lord Chandos, der fiktive Absender des Briefes, entschuldigt sich: Er werde von der Sprache Abschied nehmen müssen und seine schriftstellerische Produktion einstellen, da die Sprache ihm nichts mehr sage. Will der Leser das Paradox gedanklich richtig erfassen, so muss er dessen doppelte Bestimmtheit festhalten: einerseits das absurde Verhältnis zwischen Inhalt und Form, wenn der Absender des Briefes […]

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Vom „Tod“ der Sprache

„Sprachkrise“ und literarische Moderne Es ist ein langer Weg von Herder bis zur literarischen Moderne. Es ist eine lange Entwicklung vonnöten, bis einer wie Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) der Sprache nicht mehr viel abgewinnen kann. Sie sei auf ihre kommunikative Rolle, ihren bloßen Verkehrswert, herabgesunken und daher „so abgegriffen wie schlechte Münzen“ (Hugo von Hofmannsthal, GW X 413 [Aufzeichnungen 1896]). Es bildet sich das heraus, was in den Deutschbüchern als „Sprachkrise“ gehandelt wird. Natürlich liegen der Sprachkrise andere Gesetzmäßigkeiten zugrunde als die Gesetzmäßigkeiten der Sprache selbst. Untersuchen Sie diese Gesetzmäßigkeiten, indem Sie die gesellschaftlichen Ursachen der Sprachkrise benennen! Weitere […]

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Überwindung des Realismus

Die Kurzgeschichten Franz Kafkas Die Kurzgeschichten Franz Kafkas sind in der Regel auf eine Situation und nicht auf ein Ereignis bezogen. Die dargestellte Situation in ihrer unmittelbaren Erscheinungsweise scheint dabei der Wirklichkeit außerordentlich nahezukommen. Trotzdem haben Kafkas Geschichten in ihren entscheidenden Bestimmungen nichts mit realistischer Erzählkunst zu tun. Die Abgrenzung gegenüber dem Realismus ist notwendig. Nur so wird die Eigentümlichkeit der Texte Kafkas auffällig. Zwar beginnen die Texte meist konventionell, erhalten dann aber einen völlig anderen Akzent, von dem im Folgenden die Rede sein soll. Die Geschichte „Die Sorge des Hausvaters“ zum Beispiel erzeugt den Eindruck, es gehe um […]

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Sprache, subjektiv betrachtet

Herder: Sprache und Reflexion Da die Sprache und die Reflexion laut Herder ineinanderfallen, ist es klar, dass eine derart zentrale Kategorie wie die Form in beiden vorzufinden ist. Da die Form jedoch eine übergeordnete Kategorie ist, tritt auch der Unterschied zwischen Sprache und Reflexion deutlich hervor. Die Sprache – als Sprache der Natur – ist darauf gerichtet, sich mitzuteilen. Darin besteht die objektive Form der Sprache – in der Kommunikation (Mitteilung). Es ist bekannt, dass Herder die Reflexion als Akt der Besinnung fasst. Dabei ist von einer bestimmten Beziehung zur Welt die Rede. Die Reflexion ist laut Herder darauf […]

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